Kommentar

Sprachlust: Von Äpfeln, Birnen und Zweitwohnungen

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Warum denn einfach, wenn es kompliziert auch geht? Dieses Motto scheint auch zu gelten, wenn Gesetzgeber Mathematik einbauen.

Der Heiterkeitserfolg für Doris Leuthard war zwar nicht ganz so gross wie einst für Hans-Rudolf Merz mit «Bü-, Bü-, Bündnerfleisch», aber er war besser verdient: Die Bundesrätin gestand im Ständerat, ihr sei ein Absatz im Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative zu kompliziert und sie nehme deshalb an, «dass er auch für die meisten Gemeinden in der Anwendung zu kompliziert ist.» Es ging um den Artikel 9, dessen Absatz 1 es Hotels erlauben soll, bei Umbauten bis 20 Prozent der Fläche zu Ferienwohnungen zu machen, auch wenn dieser Anteil in der Standortgemeinde überschritten wird.
Für Wohnungen, die das Hotel selber bewirtschaftet, will der Ständerat 33 Prozent Flächenanteil zugestehen, und er hat dazu einen Absatz 1bis eingefügt, samt 1ter für den Fall, dass eine Mischrechnung nötig wird: «Erstellt der Betrieb sowohl Wohnungen nach Absatz 1 wie auch solche nach Absatz 1bis, so wird der Höchstanteil von 33 Prozent reduziert um den Wert, der sich daraus ergibt, dass der Quotient aus der Fläche der Wohnungen nach Absatz 1 und der Summe der Flächen der Wohnungen nach den Absätzen 1 und 1bis mit 13 Prozent multipliziert wird».
Einfach eine Mischrechnung
Daraus eine Rechenanleitung zu machen, ist nicht nur deshalb kompliziert, weil der ganze Vorgang in einen mehrteiligen Nebensatz gestopft wurde; es liegt auch an den verwendeten Formulierungen. So muss man wissen, dass mit «Quotient aus a und b» gemeint ist «a geteilt durch b», nicht etwa umgekehrt. Und der Wert für die Reduktion resultiert zwar in Prozenten, aber eine Prozentrechnung darf man damit nicht machen. Vielmehr muss man den Wert wie Prozentpunkte behandeln und einfach von 33 abzählen. Das ergibt sich aus dem Beispiel, das Ständerat Bischofberger vorrechnete (sechs Zehntel Wohnungsfläche nach Absatz 1bis führen zu 27,8 Prozent Höchstanteil).
Der langen Reden kurzer Sinn: Es ist die gleiche Rechnung, wie wenn Apfelmost mit 20 Prozent und Birnenmost mit 33 Prozent (eines Einheitspreises) subventioniert wird und man die Subvention für gemischten Most ausrechnen will. Übersetzt für Zweitwohungen: «Erstellt der Betrieb sowohl Wohnungen nach Absatz 1 wie auch solche nach Absatz 1bis, so wird der Höchstanteil von 20 Prozent proportional bis 33 Prozent erhöht, entsprechend dem Anteil von Wohnungen nach Absatz 1bis an der Gesamtfläche der Wohnungen nach den Absätzen 1 und 1bis». Je mehr Birnen (wärmere Betten), desto mehr Subvention (Höchstanteil der Wohnungen an der gesamten Zimmerfläche des Hotels).
Murks aus Textbausteinen
Für den Fall, dass der Nationalrat diese birnenweiche Umsetzung der Zweitwohnungs-Initiative übernehmen will: Die soeben genannte Formel steht zur Verfügung, und wer sie noch weiter vereinfachen kann, darf mit Heiterkeit und Beifall rechnen. Man kann sich hier an einen Grundsatz halten, der sich fürs Schreiben (nicht nur von Gesetzen) bestens bewährt hat. Er wird aber vielfach missachtet, obwohl – oder gerade weil – er so banal ist: Man überlege, was man sagen will, und dann … sage man es. Stattdessen lautet die Überlegung allzu oft: Wie sagt man denn das auf Gesetzesdeutsch, auf Geschäftsdeutsch, auf «Mathematisch»? Und schon hat man einen Murks aus Textbausteinen.
Im vorliegenden Fall wollte man ja sagen, Hotels könnten sich einen höheren Anteil von Ferienwohungen verdienen, indem sie diese selber bewirtschafteten. Festzulegen, wie das zu berechnen ist, geht naturgemäss nicht ohne Mathematik; hier auch nicht ohne Verständnis dafür, was «proportional» bedeutet. Das ist Gemeinde- und auch Bundesbehörden durchaus zuzutrauen. Die praktische Rechenanleitung braucht auch nicht im Gesetz zu stehen; dafür gibt es Verordnungen, wo man den Algorithmus (denn das ist es) Schritt für Schritt darlegen kann.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 4.10.2014 um 14:17 Uhr
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    Quod erat demonstrandum? KISS – Keep it simple and stupid heisst die Losung!
    Natürlich braucht es Fantasie, einen «relativ» einfachen Tatbestand kompliziert wiederzugeben, doch dies ist des «Guten zuviel"! Dass die Politik erfinderisch ist, Volksinitiativen «dem Wortlaut entsprechend» umzusetzen, ist heute keine Seltenheit mehr! Doch bitte, liebe Bergregionen, packen Sie doch gleich selbst das Übel an der Wurzel an, sorgen Sie dafür, dass Ihre Destination wieder gefragt ist, dafür braucht es keine «überkomplizierte» Gesetzgebung! Das sollten eigentlich auch unsere Politiker realisieren!

  • am 5.10.2014 um 20:07 Uhr
    Permalink

    Man kann sich kaum vorstellen, wie oft Prozente und Prozentpunkte durcheinander gebracht werden, auch in der Presse und im Fernsehen. Und offenbar ist auch einfaches Rechnen nicht jedermanns Sache. Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder Kapitalanleger, die meinen, eine um 20 % gefallene Aktie müsse wieder 20 % zulegen, um auf den Einstandskurs zu kommen. Bei der richtigen Antwort «25 %» muss, so meine Erfahrung, oft mit den Fingern nachgerechnet werden…
    Hans-Peter Holbach
    Herausgeber Geldbrief
    http://www.geldbrief.ch

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