Kommentar

Sprache: Wie das Thema Alter in die Tasten fliesst

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Die Wortwahl beeinflusst, wie ein Thema wahrgenommen wird. Für Medien eine Binsenwahrheit, die aber auch für die Wissenschaft gilt.

Als «Der Spiegel» 1998 einen Artikel mit «Die Quadratur der Greise» überschrieb, spielte wohl die Freude am Kalauer eine grössere Rolle als der Anspruch, ein Stück Generationengeschichte zu schreiben. Doch nun finden sich Zitate daraus wiederholt in der Dissertation der Rostocker Linguistin Carolin Krüger. Sie hat anhand dreier Wochenblätter (auch «Bild am Sonntag» und «Die Zeit») aus fünf Jahrzehnten deutsche Altersbilder verfolgt. In ihrer Zusammenfassung für die Schweizer Zeitschrift «Sprachspiegel» spricht sie von einem «medial inszenierten Generationenkonflikt», der um die Jahrtausendwende seinen Höhepunkt erreicht habe.
Diese Aussage bezieht sich auf den verschärften Ton in der politischen Berichterstattung, wo aus der eher passiven Randgruppe älterer Wahlberechtigter allmählich eine zahlreichere, fordernde und wohlorganisierte Macht wird, oft dargestellt als «irrationale und asoziale Gruppe». Bei der erwähnten «Quadratur» aber geht es nicht um die politische Rolle dieser Generation, sondern um die wirtschaftliche: Als Konsumentengruppe erkannt, erweist sie sich laut «Spiegel» als «heikel», denn «alt» dürfe man sie nicht nennen, und: «Senioren? Das riecht zu streng nach Mundgeruch.» Also liess sich die Werbewirtschaft allerhand Freundlicheres einfallen, wie «50+», «60plus» oder etwas mit «silbern».

«Senioren» verlieren Bonus

In den untersuchten Medien war «Senioren» zunächst mit positiver Wertung aufgetaucht, um dann aber tendenziell «die negative Wertungskomponente von ‹die Alten› zu übernehmen». Über den ganzen Zeitraum hinweg war «Greise» selten; neben «Alte» trat zunehmend «Ältere» und «Senior(inn)en», im kommerziellen Bereich auch «junge» oder «neue Alte» und in der Politik je nach Aktualität öfter oder seltener «Rentner(innen)».
Wird mit der Wortwahl die öffentliche Diskussion gesteuert, bewusst oder unbewusst? Wie das Beispiel «Senioren» zeigt, können sich Wertungen einzelner Wörter verschieben; es scheint also auf Dauer nicht möglich, einfach mit Bezeichnungen Freundlichkeit (oder das Gegenteil) zu fabrizieren. Dennoch sieht Krüger die Grundannahme der von ihr angewandten «Diskurslinguistik» bestätigt: «Durch das Sprechen über Diskursgegenstände werden diese gleichzeitig erst hervorgebracht.» In diesem Fall, indem «das öffentliche Sprechen […] massgeblich zur Konstruktion […] von kollektiven Alter(n)sbildern beiträgt».

Tendenziöse Sprachbilder

Mit einer ähnlichen Methode hat die an der Universität Bern tätige Geografin Jeannine Wintzer in ihrer Doktorarbeit gezeigt, dass auch in der Wissenschaft die Wortwahl Deutungsmacht entfaltet, besonders die Bildsprache (Metaphern). Sie hat Studien über die Bevölkerungsentwicklung im Osten Deutschlands seit der Wiedervereinigung untersucht. Dabei ist sie reihenweise auf alarmierende Darstellungen gestossen: «Alterung», «Schrumpfung», «Ausbluten». Sie stellt fest, dass auch die beiden ersten Begriffe «eher negativ besetzt» seien und dass die Abwanderung besonders dann dramatisiert werde, wenn sie Frauen im gebärfähigen Alter betreffe.
Wintzer geht von einem Wissenschaftsbild aus, in dem nicht «Wissen entdeckt wird und daraufhin objektiv beschreibbar ist», sondern «die wissenschaftliche Tätigkeit als Erzählung verstanden wird». Auch sie hat ihre Arbeit im «Sprachspiegel» vorgestellt und ist dabei zum Schluss gekommen, das «wiederkehrende Sprachrepertoire» der untersuchten Arbeiten sei «ein zentrales Element» bei der «Stigmatisierung von Regionen». Solches Erzählen trage dazu bei, die Bedingungen zu verbergen, unter denen demografisches Wissen erarbeitet und dargestellt werde – und es diene dazu, politische Anliegen wie die Geburtenförderung zu rechtfertigen, als technokratische Naturbewirtschaftung ohne gesellschaftliche «Reflektion der Motive für Kinderlosigkeit». Solche Wissenschaft sieht, gedankenlos gesagt, alt aus.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
— darin: Die «Übergreisung» fehlt uns noch!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 6.08.2016 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Alt aussehen – damit ist doch sicher weise und gelassen gemeint oder etwa nicht?

  • am 8.08.2016 um 19:24 Uhr
    Permalink

    > «Senioren» verlieren Bonus <

    spielt doch absolut keine Rolle, denn erstens schützt bekanntlicherweise Alter trotzdem vor Torheit nicht, und zweitens werden die Jungen ihre Erfahrungen halt einfach selber machen müssen.

    Man nennt es auch, das Rad jedesmal neu erfinden, aber was kümmert es Alte, sie haben es erlebt, und wenn die Jungen daraus nichts lernen wollen, dann ist das doch höchstens noch Deren Problem. Die Zeit wird es jedenfalls trotzdem richten, und mit Sicherheit auf die Träume, Wünsche und Vorstellungen der Jungen keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil, auch wenn ein Teil der Kriege und Auseinandersetzungen des 21.Jahrhunderts sich von Denen früherer Zeiten unterscheiden mag, es wird wohl noch sehr viel härter werden, und kälter, so kalt vielleicht, dass zum Träumen auch gar keine Zeit mehr bleiben wird.

    Ich gönne der Jungen, was sie verdienen. Als Einer, der die wirklich beste Zeit für Junge nicht nur miterleben durfte, sondern diese Zeit auch in Völle genoss. Und ich beneide niemanden, der/die heute Jung sind, denn ihnen stehen noch Dinge bevor, die Kein|r bräuchte, auch wenn wahrscheinlich die Allermeisten wohl glauben, irgendwie trotzdem noch drumrum zu kommen.

    Wir Alten aber wissen, dass es nicht so ist, und das Positive daran ist, dass wir es wenigstens hatten, und kannten, eine Zukunft, und Perspektiven, etwas, was der Welt aber offenbar abhanden kam, und wahrscheinlich auch nie mehr so wird.

    Alles nur Gewohnheitssache und Anpassung, mehr nicht.

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