Kommentar

Sprachlust: German up your English!

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Wer nach Deutschland reist, der travelt, shoppt, discovert, eventet und fitnesst – Letzteres nach dem Motto «Swiss up your life.»

Die Botschaft ist klar, auch wenn sie nur zwischen den Zeilen des 24-seitigen Prospekts «TravelLog» steht, den die Deutsche Zentrale für Tourismus (Internet-Adresse englisch, siehe unten) kürzlich schweizerischen Zeitungen hat beilegen lassen: Eine Reise nach Deutschland drängt sich für alle auf, die ihre Englischkenntnisse auffrischen wollen: «Brush up your English» würde nahtlos zu den Werbesprüchen passen, mit denen wir eingeladen werden, «deutsche Spitzenküche at its best» zu geniessen oder in Freiburg zu bestaunen, wie «insbesondere Unternehmen des ‹German Mittelstand› zukunftsorientiert im Sinne der Nachhaltigkeit agieren». Schaffen wir es weiter bis in den Norden, so finden wir eine Stadt in voller Auflösung: «Grau oder grün? Was lange Jahre als ein unüberwindbarer Gegensatz galt, löst Hamburg immer weiter auf.» Davon zeugen die «HafenCity» oder das «Dockland» – wenn wir nur wüssten, ob wir das deutsch oder englisch auszusprechen haben.
Beethoven, du Opfer!
Lockt uns Musik, so droht uns «Wagner goes Rap», ganz zu schweigen vom Kapitel «Rock me Beethoven!», das so beginnt: «Roll over Beethoven». Die Tourismus-Zentrale mit Sitz an der Frankfurter Beethovenstrasse verschweigt uns, dass Chuck Berry mit diesem Lied 1956 den grossen Klassiker zum Platzmachen aufforderte. Dafür teilt sie uns mit, heute werde in Deutschland viel «Musik live gespielt». Na sowas – nicht ab Band, sondern von Bands! Zum Beispiel am «Chiemsee Reggae Summer». Das innere Ohr hört «Tschihm-ssie», und die Reklame verspricht dort neben Musik auch «Easy Living». Gediegener gehts in Sachsen zu, «Deutschlands Kulturreiseziel Nr. 1». Da wird die Musiktradition «durch Konzerte und Events täglich mit neuem Leben» gefüllt.
Bis wir aber im sächsischen «Land von Welt» sind, gilt es grässlichen Gefahren zu widerstehen. Sie kündigen sich in harmlosem Gewand an: Es «laden in allen Städten die Einkaufsstrassen zum gemütlichen Allround-Shoppen ein». Doch der dicke Kapitel-Titel verhüllt nicht, worum es geht: «Fashion Victims». In einem Land, das den deutschen Wortschatz jüngst um den Hohn «du Opfer!» bereichert hat, ist klar, dass die Reisenden zu Modeopfern werden sollen. Wenn nicht beim gemütlichen S(c)hoppen, dann an der «Berlin Fashion Week» oder an der «Bread & Butter», denn das ist «die bedeutendste B2B-Plattform» für «kreative Modemarken und Labels». Ob Marken und Labels zwei Paar Schuhe sind, erfahren wir nicht – wohl aber, dass im Zeichen von Brot und Butter «Street- und Urban Wear» zu sehen ist. Und dass überall in der deutschen Mode gilt: «Was hier aufblüht, rockt.» Womit wir wieder bei der Musik wären, oder ist jener Rock gemeint, der uns ferner ist als das Hemd? Verzeihung, als das Shirt.
Swiss Schweiss
Glauben wir, den Germany-Travel überstanden zu haben, so kommt als dickes Ende die Aufforderung: «Discover the Stars». Dies in den «Magic Cities», als da wären: «Berlin, Stadt der Coolness» oder «München, Stadt des Lifestyle», und dazwischen einige, wo man möglicherweise noch Deutsch spricht. Die letzte Lektion erteilt der Seitenkopf: «It’s Magic». Ganz richtig: Hier gehört der Apostroph hin, während – ebenfalls richtig – in «at its best» keiner steht, als Ausnahme vom üblichen englischen Genitiv. Wer die schönsten Orte (zum Glück nicht «Deutschland’s») sucht, kann die «TOP 100 App downloaden».
Roll over Germany, die Schweiz rockt zurück. Galt nicht bis vor Kurzem die Devise: «Swiss down your taxes»? Nie gehört? Kann sein, aber jetzt heissts ganz offiziell «Swiss up your life.» Mit diesem «Claim» stellt sich in einer Pressemitteilung «die neue High-End-Fitness- und Wellness-Marke Elements» vor. Wenigstens ist die Marke, welche die Besitzerin Migros gern in lauter Grossbuchstaben geschrieben sähe, kein «Brand». Sie soll bloss «die Muskeln zum Brennen treiben», im «Functional-Trainings-Bereich» oder bei «Group Fitness» mit «FlowTonic» und anderen Verlockungen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 1.12.2012 um 12:46 Uhr
    Permalink

    Kann man eine Spende an Sie VON den Steuern abziehen oder BEI den Einkünften?
    HPH

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 1.12.2012 um 12:57 Uhr
    Permalink

    @Estabhlishment anonym:
    Wenn es kurz sein muss, dann BEI den Steuern. Im Aufklappfenster heisst es genau: «Sie können Ihre Spende von Ihrem steuerbaren Einkommen abziehen.» Unser Sprachspezialist Daniel Goldstein ist für das umgangssprachliche «von den Steuern abziehen» nicht verantwortlich.

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