Sprachlupe: Den Sack besteuern und den Esel meinen

Daniel Goldstein /  Das Steueramt will «steuerbare Beträge» wissen, als könnte man die steuern. Und von Abfallsäcken wird Pflichbewusstsein verlangt.

Und wieder ruft die Steuerpflicht. Sie hat eine Leserin, die «steuerbare Beträge» angeben soll, zur Frage veranlasst: «Sollte es nicht heissen ‹steuerpflichtig›?» Nein, das sollte es nicht: Wir müssen zwar auf diese Beträge zurückgreifen, um unsere Steuerpflicht zu erfüllen, doch die Pflicht lastet auf uns, nicht auf den Beträgen. Aber sind sie wirklich steuerbar? Für findige Steuerzahler gewiss: Die können steuern, für welche Beträge sie steuerpflichtig sein wollen. Aber so, im Sinn von lenkbar, ist das Wort hier leider nicht gemeint. Eigenschaftswörter auf «-bar» bedeuten zwar oft, dass man mit dem, was sie beschreiben, etwas tun kann: trinkbare Flüssigkeit trinken, essbare Früchte essen, lenkbare Drachen lenken. Die fraglichen Beträge aber sollen nicht gesteuert, sondern besteuert werden; sie wären also streng genommen «besteuerbar».
Nur: So «heisst es» nun einmal nicht. Wörter haben nicht immer jene Bedeutung, die aus Gesetzmässigkeiten der Sprachentwicklung hergeleitet werden kann, sondern oft eine abweichende, die ihnen der allgemeine Sprachgebrauch verliehen hat. Und so hat ein Steueramt auch eine gewisse Macht, die Sprache zu steuern. Protest gegen die Steuerlast gibt es zwar immer wieder, aber mit ihrem Einwand gegen «steuerbar» wird die Leserin wohl keine sprachmächtige Grundwelle auslösen. Das Wort lässt sich auf anderem Weg sogar direkt aus der Sprachentwicklung herleiten: Ursprünglich hat «-bar» mit Tragen zu tun: Der fruchtbare Baum trägt Früchte. Und aus der Sicht des Steuervogts tragen die Beträge gewiss Steuern. Aber so viel hat er sich bei «steuerbar» wohl nicht gedacht.
Abziehfähige Kinder?
Weiter hat die sprachbewusste Steuerpflichtige gelesen, «dass Schulden abziehfähig sind», und sie fragt: «Sollte es nicht heissen ‹abziehbar›?» Das gefällt mir auch besser, aber damit ist nicht gesagt, dass «abziehfähig» falsch ist. Auf «-fähig» enden nicht nur Adjektive für jemanden mit einer Fähigkeit (etwa «urteilsfähig»), sondern auch solche für etwas oder jemanden, mit dem man etwas tun kann: Streichfähig ist nicht der Maler, sondern (hoffentlich) die Farbe. Für manche Wörter gelten beide Lesarten, so für «manövrierfähig». Dazu schreibt Duden.de: «Adjektiv – fähig, Manöver auszuführen, manövriert zu werden».
Desgleichen müsste man wohl sagen, dass ein Abziehbildchen selber abziehfähig ist, aber nicht nur: Auch das kleine Kind, dem das Abziehen des Bildchens gelungen ist, könnte man als abziehfähig bezeichnen. Nur verstünde kaum jemand auf Anhieb, was ein abziehfähiges Kind ist. Eher denkt man dabei an den Kinderabzug bei den Steuern, aber deswegen ein Kind abziehfähig zu nennen, wäre doch arg lieblos.
Gebührenpflichtige Säcke
Ist die Steuerpflicht erfüllt, hat man keineswegs ein Jahr Ruhe: Unablässig drückt die Gebührenpflicht für Abfälle. Ich habe zwar einen eleganten Weg gefunden, sie zu umgehen, aber ich habe ihn noch nie ausprobiert. Steht auf einem Container «nur gebührenpflichtige Säcke», so verstösst man nicht gegen dieses Gebot, wenn man einen x-beliebigen Sack hineinwirft. Denn offensichtlich erhebt hier die Gemeinde für jeden Sack, den die Kehrichtabfuhr mitnehmen soll, eine Gebühr. Also sind alle Säcke gebührenpflichtig; andere Säcke gibt’s gar nicht.
Trotz einwandfreier Logik würde wahrscheinlich kein Gericht in Bern, Lausanne oder Strassburg die sprachliche Spitzfindigkeit gelten lassen. Denn auch in diesem Fall hat sich der amtliche Sprachgebrauch durchgesetzt: Mit «gebührenpflichtigen Säcken» sind solche gemeint, für die die Gebührenpflicht bereits erfüllt worden ist. Sie sind quasi frankiert. Und natürlich ist diese Frankatur nicht die Pflicht des Sacks, sondern jene des Esels, der ihn zum Container trägt. Die seltsame Bezeichnung ist auch einem Leser aufgefallen. Er schlägt die Kurzformel «Gebührensäcke» vor. Sein Wort in Amtes Ohr!
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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