cricketFRONT

Cricket: Breite Förderung soll das Spiel in China populärer machen © chinacricket.org

Cricket: Vom «noblen Spiel» zum Volkssport

Peter G. Achten /  Ganz Asien begeistert sich für Cricket, das noble Spiel der Briten. Doch in China spielt man lieber Fussball. Das soll sich ändern.

Der frühere Präsident des Internationalen Cricket-Rates (ICC) formulierte es schon vor Jahren so: «Cricket kann sich nicht als globales Spiel betrachten, solange ein Fünftel der Menschheit von diesem Sport keine Notiz nimmt.» Mohammad Aminul Islam geht noch einen Schritt weiter: «Damit Cricket noch vor dem Fussball der Weltsport Nummer 1 wird, muss China den Sport adaptieren», sagt der ehemalige Captain des Bangladesh-Nationalteams am Cricket Worldcup 1999.
Cricket ist kompliziert, und die verschlungenen Spielregeln sind einem Fussballfan kaum verständlich zu machen. Ein britischer Kenner der Materie umschrieb das für Kontinental-Europäer eher seltsam anmutende, betuliche Spiel so: Cricket ist eine individuelle Sportart im Team-Format, welche hohe Selbstdisziplin, höchste Konzentration, Spielwitz, Athletik und hartes Training erfordert.
Aus Cricket wurde Baseball
Das aristokratische Spiel der Briten trat im Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus des 19. Jahrhunderts den Siegeszug um die Welt an. Überall wo sich Briten festsetzten, wurde Cricket heimisch. In der ehemaligen britischen Kolonie Nordamerika entstand daraus Baseball. In Asien jedoch wird bis zum heutigen Tag «richtig» Cricket gespielt, und das mit Leidenschaft. Kinder spielen nicht etwa Fussball, sondern Cricket. Zum Beispiel in Neuseeland und Australien, aber auch in Indien, Pakistan, Bangladesh, Sri Lanka, Myanmar oder Malaysia.
Selbstverständlich wird auch in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong Shen Shi Yundong – wörtlich das «noble Spiel» – gepflegt. Heute ist die administrative chinesische Sonderzone Hongkong neben China eigenständiges Mitglied im Internationalen Cricket-Rat ICC. China ist seit zehn Jahren ICC-Mitglied und unterhält Teams in neun Städten, darunter Peking, Shanghai, Guangzhou. Am besten gespielt wird jedoch in der nordöstlichen Grossstadt Shenyang.
Es gibt sogar eine professionelle Nationalmannschaft, allerdings war diese bis jetzt wenig erfolgreich. Beim ersten internationalen Einsatz 2009 verlor das Team selbst gegen die Malediven, am Schluss reichte es gerade noch für einen Sieg gegen Myanmar. Am ACC-Twenty20-Cup 2014 gingen alle Matches des chinesischen Nationalteams verloren, unter anderem gegen Afghanistan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain.
Hochgesteckte Erfolgsziele
Aber der Ehrgeiz der Verbands-Mandarine der chinesischen Cricket-Vereinigung ist gross und die Ziele sind hochgesteckt. Dank breiter Förderung bis in die Schulen soll bis im Jahre 2019 die Qualifikation für den Cricket World Cup, die Weltmeisterschaft des noblen Sports, erreicht werden.
Der ehemalige Bangladesh-Cricket-Captain Aminul Islam ist derzeit im Reich der Mitte unterwegs, um im Auftrag des Asiatischen Cricket Rates (ACC) das Spiel weiterzuentwickeln und zu professionalisieren. Er stösst auf offene Ohren, und schon heute träumt Aminul Islam von einem Match China gegen Indien. «Man stelle sich vor», sagt der dank Cricket zu Ruhm und Wohlstand gekommene Bangladeshi begeistert, «bei über einer Milliarde Fernsehzuschauer werden sich Sponsoren und Werber darum reissen, einige Sekunden einer solchen Übertragung zu ergattern.»
Doch viele asiatische Cricket-Fans halten nicht viel vom prognostizierten Aufstieg Chinas im Noblen Spiel. Der Globale ICC-Entwicklungsmanager Matthew Kennedy sagte schon 2006: «Cricket in China zu entwickeln, ist ein 20-Jahre-Projekt.» Falls Cricket hingegen wie bereits vor 100 Jahren wieder zum Olympischen Sport geadelt werden sollte, dann freilich stünden die Chancen für eine rasche Entwicklung in China wieder besser. Sobald es nämlich um Olympische Medaillen geht, wird das Sportministerium zum höheren Wohl des Vaterlandes meist automatisch aktiv.
Populäre Fussball-Stars
Ob der aristokratische Sport aus der Kapitalisten-Hochburg England in der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» ein Erfolg wird, darf bezweifelt werden. Es fehlt ganz einfach die Tradition. Selbst wenn China dereinst den Aufstieg in die höchste Cricket-Liga schaffen sollte, wird kaum jemand fünf Tage lang einen Test-Match verfolgen wollen.
Die Prognosen, dass Cricket einst Fussball als populärste Sportart ablösen werde, sind mehr als gewagt. Fussball ist, trotz all der Skandale der letzten zehn Jahre, in China populär wie nie zuvor. Zwar behaupten die Engländer, das Fussballspiel «erfunden» zu haben. Das mag für die moderne Spielart zutreffen. Doch die Chinesen rannten nachweislich schon vor über 2000 Jahren ledernen, kugelartigen Gebilden hinterher. Und haben getreten und vor allem nachgetreten…
Die europäischen Profi-Ligen sind immens populär und werden wöchentlich am Fernsehen gezeigt. Illegale Wetten machen hohe Umsätze, obwohl das Glücksspiel in China – mit Ausnahme von Macao und Hongkong – streng untersagt ist. Die Stars von Real Madrid, Chelsea, Juventus Turin oder Bayern München sind bekannter als das einheimische Gewächs von Beijing Guo’an oder Guangzhou Evergrande. David Beckham ist im Reich der Mitte so bekannt wie Staats- und Parteichef Xi Jinping, ein bekennender Fussballfan. Xi liess sich auf seiner kürzlichen Europareise in Frankreich, Holland und Deutschland mit offensichtlichem Vergnügen auch mit Fussballgrössen ablichten.
Derweil fördert in China die Chinesische Fussballvereinigung (CFA) die Fussballjugend. Ziel, ähnlich wie beim Circket, die Qualifikation für eine der nächsten Fussball-Weltmeisterschaften. Jeder chinesische Sportfan würde darauf wetten, dass es die Fussballer noch lange vor den Cricketeers schaffen werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.