Kommentar

Sprache: Wer Selbsternannte selbst ernennt, ist …

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  … selber einer: Er urteilt über die Legitimität einer Rolle, die er anderen zuschreibt, und damit ist der Fall für ihn erledigt.

Haben Sie sich heute schon selbst ernannt? Wenn nicht, gehören Sie nachgerade zu einer Minderheit, denn zumindest in den Medien wimmelt es von «selbst ernannten» Würdenträgern aller Art. Freilich sind es fast immer Bürdenträger, denn wenn eine «Ernennung» als eigenmächtig beschrieben wird, ist damit in aller Regel ein Tadel verbunden. Kritisiert wird die angebliche Amtsanmassung und meist auch das damit einhergehende Wirken. Dabei würden die Betroffenen die ihnen zugeschriebene Rolle weit von sich weisen und jeden Anspruch darauf bestreiten.
Einige Beispiele, in wenigen Tagen zusammengekommen: In der Ostukraine sind «selbst ernannte Rebellenführer» an der Macht, beim Berner Fussballclub Young Boys gibt ein «selbst ernannter Heilsbringer» den Ton an, bei manchen Politikern finden «selbst ernannte Kesb-Opfer» Gehör und über die Anschläge von New York und Washington 2001 verbreiten «selbst ernannte 9/11-Experten» Verschwörungstheorien. All diesen «Selbsternannten» gemeinsam ist, dass sie zwar allerhand dazu beigetragen haben, so hingestellt zu werden – nur kaum je durch eine Ernennung ihrer selbst.
Getrennt oder zusammen?
Dummerweise setzte die Wortverbindung «selbsternannt» just dann zu ihrem Höhenflug im Schweizer Mediengebrauch an, als sie von der Rechtschreibereform zur Wortgruppe «selbst ernannt» dekonstruiert wurde – gegen die Reformregel, man müsse zusammenschreiben, was aus einer Einsparung hervorgeht. Das ist ja der Fall, wenn «von sich selbst ernannt» verkürzt wird, aber eine der vielen und manchmal widersprüchlichen Reformregeln wird wohl auch die Getrenntschreibung gerechtfertigt haben. Die Revision, mit der die Reform nach der Jahrtausendwende auf Kosten der Regeln gerettet wurde, liess dann beide Schreibweisen nebeneinander gelten.
Das sinnvollere «selbsternannt» wurde darauf wieder häufiger gedruckt, geriet aber schliesslich ins Hintertreffen, weil der Duden «selbst ernannt» empfahl. Als würde nicht jeder, den eine befugte Instanz beruft, selbst ernannt: eben niemand anderes. Die Selbsternannten aber – als Substantiv müssen sie zusammengeschrieben werden – zeichnen sich durch die Besonderheit aus, dass sie sich ungehörigerweise selbst auf einen Thron erhoben haben sollen. Meistens ist es einer, für den es weder zuständige Kurfürsten gibt noch ein Amt, das Ernannte auszuüben hätten.
Bequeme Keule für Kritik
Zurück zu den Beispielen: «Rebellenführer» wäre wenigstens eine Art Amt, aber wie würde es rechtmässig besetzt? Durch international kontrollierte Wahlen etwa, wo doch in der Ostukraine – neben dem verdrängten Zentralstaat – nur eine «selbst ernannte Republik» besteht? Der kurzzeitig starke Mann bei YB war immerhin regulär in den Verwaltungsrat gekommen; als «Selbsternennung» ins singuläre Amt des Heilsbringers mochte allenfalls sein Auftreten erscheinen. Wer sich als Opfer einer Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) darstellt, kann mehr oder weniger Grund dazu haben, aber einem «selbsternannten Opfer» wird unterstellt, es sei gar keines. Ebenso wenig wie der derart abgestempelte 9/11-Experte als einer gilt, dessen Angaben man immerhin prüfen müsste.
All diese Argumente gegen den Gebrauch von «selbst ernannt» sind für jene, die mit dieser Wendung operieren, gerade die Gründe, es zu tun. Denn sie haben damit eine bequem zu handhabende Keule gefunden, um den Betroffenen die Legitimität abzusprechen. Diese Waffe reiht sich ein ins Arsenal der Rassismus-, Sexismus-, Faschismus- und anderen Keulen, deren Einsatz jede Diskussion überflüssig machen soll. Es fehlt nur noch der griffige Name. Aber ich werde mich hüten, einen vorzuschlagen, denn ich höre schon den Hohn über den «selbst ernannten Sprachwächter» hereinbrechen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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12 Meinungen

  • am 6.10.2016 um 13:02 Uhr
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    So harmlos ist das nicht! Die wichtigsten Selbsternennungen haben Sie noch vergessen: die selbsternannten Stellvertreter Gottes auf Erden. Man erkennt sie oft zu spät an ihren Blutspuren.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 14.10.2016 um 18:09 Uhr
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    Ich würde bei den «Selbsternannten» bleiben. Daniel Goldstein beweist mit dem brillanten Kurz-Essay einmal mehr, dass er von der Sprachpraxis mehr versteht als das, was in den Duden in der Regel nicht von einem Einzelnen, sondern wohl aufgrund eines Expertenmehrheitsbeschlusses reinkommt oder auch nicht. Der Mehrheitsbeschluss ist unter Umständen schlechter reflektiert als die konsistente Meinung eines Einzelnen, wie sie Goldstein so gut wie immer glaubwürdig vorträgt.

    @Schenk. Zu Ihren selbsternannten Stellvertretern Gottes. Überall, wo Kirchenrecht herrscht, gar Staatskirchenrecht wie in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Griechenland usw. sind die Ihnen spürbar unsympathischen Hierarchen nun mal weder selbsternannt noch selbst ernannt. Zusätzlich ist z.B. der Dalai Lama, ein ganz spezieller Fall, nicht «selbsternannt».

    Persönlich hatte ich einst zu tun mit dem Sektenführer Michael Kuhn in Dozwil. Insofern er direkt vom Erzengel Michael zum Priester geweiht wurde, von ihm auch seine Botschaften erhielt, war er aus unserer weltlichen Sicht ein mutmasslich selbsternannter religiöser Führer. Dies gilt interessanterweise auch für den Propheten Muhammad, der seine Koran-Eingebungen wie Kuhn direkt von einem Erzengel eingeflösst bekam. Also ein selbsternannter Religionsstifter, was von Jesus weniger gesagt werden kann. Nach allen Indizien wurde das, was man Kirche nennt, später gegründet, wobei das Apostelkonzil jedoch nicht auf Selbsternennung eines Einzelnen beruhte.

  • am 14.10.2016 um 21:53 Uhr
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    @Pirmin Meier: Die terminologische Präzisierung ist berechtigt: von Menschen ernannt oder selbsternannt. Von Gott oder seinen Erzengeln ernannt, das allerdings gehört in die Psychiatrie. Über «Religionsstifter» mag ich nicht diskutieren, über «Kirchenrecht» eigentlich auch nicht. Wir haben doch Trennung von Kirche und Staat. Aber auch Glaubensfreiheit.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 14.10.2016 um 23:34 Uhr
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    @Schenk. Terminologische Präzisierungen sind wichtig, sind bei sonst unentscheidbaren Fragen oft das einzig Wissenschaftliche. Sie täuschen sich aber: Eidg. Initiative zur Trennung von Kirche und Staat wurde abgelehnt, genau so wie mein diesbezüglicher Antrag im Aargauer Verfassungsrat. Fragen Sie mal Ludwig A. Minelli. Das Fach Religionsverfassungsrecht wird an den Universitäten gelehrt und hat einen grossen Einfluss auf die Frage, ob man den Islam ins öffentlichrechtliche System einbilden will. Tut man es, ist auch das Religionsverfassungsrecht wieder für ein paar Generationen gerettet. – Die Leute, die mit Engeln Kontakt haben wollten, es waren viele, nicht nur Muhammad und Paul Kuhn, gehören aber so wenig in die Psychiatrie wie die Personen, mit denen ich als Volkskundler gesprochen haben, die mir von ihren Begegnungen mit Zwergen erzählten. Ich versuche diese Leute als Grenzgänger darzustellen. Kommt dazu, dass in der Psychiatrie manchmal das Grundwissen betreffend diese Fälle fehlt, so die Kenntnis der zum Beispiel von Paracelsus 1531 in St. Gallen begründeten Religionspathologie. Auch heute gibt es Personen mit enorm unterschiedlichem Wirklichkeitsverständnis. Eine Knacknuss in der Religionsphänomenologie stellt zum Beispiel nach wie vor der Teufel dar. Goethe hatte darüber einen beträchtlichen Wissensstand, der aber teilweise wieder in Vergessenheit geraten ist. Der Teufel wird auch von Nicht-Teufelsgläubigen oft substituiert zur Sättigung des Feindbedarfs.

  • am 15.10.2016 um 12:04 Uhr
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    @Pirmin Meier: zum Schlagabtausch über infosperber wollen wir es nicht kommen lassen. Schliessen wir doch so ab: einer von uns oder beide täuschen sich. Ich kenne Minellis Angriff auf Huonder wegen seiner Aussage: «Wir anerkennen die Menschenrechte, so weit sie sich nicht mit Gottesrecht widersprechen…» Er gibt damit vor, Gottes Recht zu kennen. Wo nimmt er das her oder wo hat er es eingetrichtert erhalten? «Und sie dreht sich doch», hat Gallei zu sagen gewagt und wanderte ins Gefängnis. er auf Gottesrecht pocht, gehört in die Psychiatrie, da bleibe ich dabei.
    Zum Kirchenrecht: wenn unsere Verfassung gilt und umgesetzt wird, gibt es kein öffentliches Kirchenrecht. Aber wir wissen, wie Verfassungen umgesetzt werden, etwa auch auf Stufe UNO.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 15.10.2016 um 12:43 Uhr
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    Es gibt ein öffentliches Kirchenrecht, in Kantonsverfassungen geregelt. Was Huonder «Gottesrecht» nennt, ist keineswegs Staatsrecht, wobei für Christen das Pauluswort gegolten hat: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.» Ethisch hat das mit dem Gewissen zu tun. Auf ein analoges transzendentales Prinzip beruft sich auch der Dienstverweigerer. Darum delegierte BR Furgler die Abtreibung an einen anderen Bundesrat.

    Das Staatsrecht ist nicht absolut; Sie sehen aber richtig, dass dieses nicht durch ein absolutistisches Religionsrecht wie die Scharia ersetzt werden darf. Im Mittelalter gab es bei uns trotz Hexenprozessen keine Scharia. Das heisst Gottesrecht galt nie für alle Bereiche des Rechts. Hexenprozesse gründeten auf der Carolina, also kaiserlichem Staatsrecht. Zwischen Kirchenrecht und Staatsrecht gab es immer ein Spannungsverhältnis. Wenn Sie wissen wollen, was Staatskirchenrecht ist, lesen Sie Gutachten Loretan/Weber über Bedingungen einer öffentlichrechtlichen Anerkennung des Islam in der Schweiz. Noch heute gilt: Bischof von Basel wird auch nach staatskirchenrechtlichen Vorgaben gewählt. Dies schränkt Macht des Papstes teilweise ein. Grünenpolitiker Jo Lang ist stärker für das Staatskirchenrecht als ich als Befürworter der Trennung von Kirche und Staat es sein kann. Vgl. Buch «Kulturkampf 1841 – 2016» von Lang/Meier. Menschenrechte sind im Wandel und interpretationsbedürftig; an sie zu «glauben» wäre Zivilreligion, Ersatz für päpstliche Unfehlbarkeit.

  • am 15.10.2016 um 13:14 Uhr
    Permalink

    @Pirmin Meier: diesmal wage ich zu sagen, dass Sie sich irren. Die Menschenrechtskonventionen aller Stufen sind änderbar, wenn sich hierzu demokratische Mehrheiten finden lassen. Da muss gar nichts geglaubt werden. Mit der päpstlichen Unfehlbarkeit war und ist das nicht so. Auch mit der Scharia nicht. Die Zeit, wo die Menschheit dieses Religionsgedusel endlich in die historische Mottenkiste versorgt, werde ich nicht erleben. Bis es soweit ist, geht die 2500-jährige Blutspur (Hans Küng) weiter.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 15.10.2016 um 13:43 Uhr
    Permalink

    Es ist aus guten Gründen schwer, Menschenrechtskonventionen zu ändern. Es handelt sich hier nämlich um die Grenzen der Demokratie. Trotzdem sind Menschenrechte nicht Glaubenssätze. Von höchster, allerdings umstrittener Wichtigkeit bleibt, wer das Monopol der Auslegung hat und ob z.B. nicht nur das Verlassen eines Landes, sondern auch die Einwanderung ein Menschenrecht sei, was zwar formell so nie legiferiert wurde, jedoch häufig Sache von Menschenrechtserörterungen wird. Die bedeutendsten Begründungen der Menschenrechte sind im 18. Jahrhundert in der Schweiz entstanden (Barbeyrac, Burlamaqui, de Vattel, z.T. Rousseau). Dem jeweils obersten Menschenrechtsgerichtshof kommt eine Entscheidungsgewalt zu, die der früheren päpstlichen vergleichbar ist, insofern die zur Zeit der Restauration erstnmals postulierte «Unfehlbarkeit» vom Staatslehrer de Maistre 1819 pragmatisch vor allem als Letztinstanzlichkeit und nicht mehr weitere Anfechtbarkeit interpretiert wurde. Was Sie «Gedusel» und «Mottenkiste» nennen, ist letztlich die Wertfrage, in der praktisch niemand, wohl auch Sie nicht, Toleranz kennt. Die von Ihnen geforderte demokratische Abänderbarkeit bzw. Weiterentwicklung der Menschenrechte setzt eine Verfassung voraus, auf die wir als Bürger noch Einfluss nehmen können. Das ist aber freilich gerade das heikle Problem. Es stellt sich in der politischen Streitfrage nach den fremden Richtern. Die Schweiz, selbsternannter Hort der Menschenrechte? Hier kommt ein Dilemma zum Vorschein.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 15.10.2016 um 13:56 Uhr
    Permalink

    PS. Das Wichtigste habe ich vergessen. Die Menschenrechte werden weder in Europa noch global «demokratisch» weiterentwickelt, sondern mit jedem Urteil, das als Präzedenzfall gilt, sei es auf Stufe Bundesgericht oder beim Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte. Enorm einflussreich auf die Entwicklung in der westlichen Welt sind auch Urteile des obersten US-Gerichts, ob es uns passt oder nicht. Im Prinzip handelt es sich zur Hauptsache um die Selbstmächtigkeit höchster Justizbehörden, nicht um herkömmliche Verfassungsrevisionen. An Herrn Goldstein: Mit der in Frage gestellten These «Die Schweiz als selbsternannter Hort der Menschenrechte» bin ich bei Ihrem bzw. Deinem Ausgangsthema geblieben.

  • am 20.11.2016 um 10:00 Uhr
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    Danke an den Autor für diesen feinen und beleuchtenden Beitrag. Auffällig blieb für mich im Allgemeinen, dass sich im Wort Sprache, die Rache versteckt. Eine Spielerei nur, vielleicht. Denn (ge)Wichigkeit erhalten Worte erst durch des Menschen Gefühle. So erhält Informierung (in Form bringend) wohl eine neue Bedeutung.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 20.11.2016 um 10:49 Uhr
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    @Vögeli. Mit Ihnen halte ich diese Kolumne für eine der bedeutendsten nicht im Schweizer Blätterwald, sondern, wenn schon, im Netzdickicht. Sie ist nur vordergründig unpolitisch. Zum Verlogensten in der Sprache der Politik gehören nicht einmal herkömmliche korrigierbare Falschaussagen, sondern das konstitutiv verlogene zumindest in einem Teil der Propagandasprache. Es wäre allenfalls erhellend, würde Daniel Goldstein hier noch mit einer weiteren Reihe von Beispielen sozusagen aus aktuellem Anlass diesen Ansatz noch vertiefen.

  • am 22.11.2016 um 18:30 Uhr
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    @P. Meier
    lassen wir uns überraschen ob der Autor, sich durch die Antworten zu weiteren Beleuchtungen inspirieren lässt. Würde mich auf alle Fälle freuen.

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