Kommentar

Sprachlust: Homo dudens nervt Homo ludens

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Allzu genau ist ungesund: Wer jeden (vermeintlichen) Verstoss gegen Rechtschreiberegeln grimmig rügt, missachtet den Spieltrieb.

Schier genussvoll können sich manche Leute über sprachliche Fehler – oder was sie dafür halten – ärgern und ereifern. Jede Redaktion kann ein Liedchen davon singen, wie sie in Leserbriefen gerügt, gerüffelt oder gar beschimpft wird, und gar manche Klage landet auch beim Sprachkolumnisten. Er soll das Radio zu guter Aussprache bewegen, SBB-Durchsagen von allzu helvetischen oder allzu deutschländischen Klängen befreien und natürlich keinerlei Regelwidrigkeiten im Rest der Zeitung dulden. Dabei ist er schon froh, wenn er selber die geltende Version der amtlichen Rechtschreibung immer befolgt – oder nur dann davon abweicht, wenn er gute Gründe hat.
Nicht dass korrekte Sprache unwichtig wäre – «man verstehts ja auch so» reicht nicht als Begründung für Schlendrian im öffentlichen Sprachgebrauch. Aber das erklärt noch nicht die Häme oder Verbissenheit, mit der die Klage über angebliche Sprachsünden oft erhoben wird. Nicht selten geht es dabei um Kleinigkeiten, etwa den im Englischen gebräuchlichen Apostroph vor dem Genitiv-S, der im Deutschen tatsächlich nichts verloren hat. Aber selbst die amtlichen Regeln tolerieren den «gelegentlichen Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens (Carlo’s Taverne)» (§ 97 E).
Reinheit und Regeln
Wer von dieser Ausnahme Gebrauch macht, läuft Gefahr, des «Deppen-Apostroph’s» bezichtigt zu werden. Ebenso gibt es den «Deppen Leerschlag», oft kommerziell gebraucht: «bei Ihrem Auto Händler» (Marke dem Autor bekannt) – aber da gibt es keinerlei amtliche Toleranz für die «Verdeutlichung des Firmennamens». Wörter zusammenzusetzen, statt sie durch blosse Anreihung zu verbinden wie auf Englisch, ist nun einmal eine grundlegende Eigenheit des Deutschen. Das ist aber noch kein Grund, diese und andere Anlehnungen ans Englische als «Dummdeutsch» zu verdammen.
Erboste Sprachbewahrer gibt es auch anderswo. Die niederländische Zeitschrift «Onze Taal» (Unsere Sprache) hat ihre Zuschriften und jene einer Klagemauer-Website ausgewertet und fünf Hauptmotive der Kritiker ausgemacht: Reinhaltung vor fremden Einflüssen, Verständlichkeit für alle, Abneigung gegen Veränderungen, Regeltreue, Logik. Vielleicht wäre im deutschen Sprachraum die Reihenfolge anders, aber die meisten Kritiker (und durchaus auch Kritikerinnen) dürften ähnliche Beweggründe haben.
Schwierige Freiheit
Gedankenlos übernommene Anglizismen, geschwollenes Fachchinesisch, Modeflausen, orthografische Beliebigkeit und krasser Widersinn gehören gewiss bekämpft. Aber nicht nur solche Erscheinungen gehen an die Nerven, sondern eben auch das Besserwissertum und die Rechthaberei, mit denen manche Reklamationen vorgebracht werden. Oft ist auch das Bedürfnis zu beobachten, stets nur eine einzige Lesart gelten zu lassen, sei es aus Überheblichkeit oder auch aus Unsicherheit. Letztere hat durch die Reform der Rechtschreibung und dann deren Revision verständlicherweise noch zugenommen.
So sind heute oft verschiedene Schreibweisen «richtig», und manchmal lassen sich damit Nuancen ausdrücken; ein «Fleisch fressendes Tier» ist gerade am Fressen, «fleischfressend» ist es auch im Schlaf. Doch nicht jeder ist in sprachlichen Dingen ein Homo ludens, ein spielender Mensch, der sich im lustvollen Pröbeln entwickelt. Manche gehören – mit einem verspielten Kalauer gesagt – lieber zur Gattung Homo dudens. Das kommt nicht von einem lateinischen Verb «dudere», das es nicht gibt, sondern vom Duden. Den kann ein guter Homo dudens nicht nur auswendig, sondern er schränkt auch noch dessen amtlich bewilligte Varianten ein, um einem einheitlichen und reinheitlichen Regeldeutsch anzuhängen. Und dieses auch noch anderen unter die Nase zu reiben.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 24.05.2014 um 11:54 Uhr
    Permalink

    Aber das erklärt noch nicht die Häme oder Verbissenheit, mit der die Klage über angebliche Sprachsünden oft erhoben wird.

    Mechanismus für das Besserwissenwollen in Sache Orthographie: permanente Suche nach Anerkennung (für bessere Fortpflanzung) mit möglichst geringem Energieaufwand.

  • am 25.05.2014 um 09:03 Uhr
    Permalink

    Insbesondere im email Umgang würde mir als Mathematiker analog zu «obiges» auch «untiges» zupassekommen.
    Leider kennt der Duden das nicht und es würde mir wohl vom homo dudens auch sehr angekreidet. Zugegeben, beide Wörter klingen nicht gerade schön, aber wie soll die Sprache leben und sich entwickeln, wenn nicht zumindest verständliche Wortschöpfungen zulässig sind?
    Tröstend ist, dass «googeln» schon seit 10 Jahren im Duden steht.

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