Kommentar

Privateigentums-Initiative: leer einlegen!

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Der Beitrag erschien in "Hälfte/Moitié", dem unabhängigen Mediendienst zur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit. ©

Oswald Sigg /  Ein Ja zur Abzockerinitiative halte ich für falsch, ein Nein ebenso, weil es ein Ja zum indirekten Gegenvorschlag bedeutet.

Red. Während sich Persönlichkeiten wie Paolo Bernasconi, früherer Tessiner Staatsanwalt, Mafiajäger und Professor für Wirtschaftsrecht, sowie der ehemalige IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga für die Abzocker-Initiative einsetzen, um dem «Marktfundamentalismus in der Schweiz eine Abfuhr zu erteilen», argumentiert der frühere Vizekanzler und Bundesratssprecher Oswald Sigg gerade andersherum und kommt zum Schluss, es sei besser, sich bei der Abzockerinitiative aus Protest der Stimme zu enthalten und leer einzulegen.

KOMMENTAR

Alle sind sie dem Thomas Minder auf den Leim gekrochen: Bundesrat und Parlament, Parteien und Verbände. Es geht doch gar nicht darum, den Abzockern das Handwerk zu legen. Gier und Geiz sind so wenig in der Bundesverfassung zu regeln wie Neid und Missgunst. Minders Initiative hatte zwei Ziele zu erfüllen: ihrem Urheber zu einem Ständeratssitz zu verhelfen und den Schutz des Privateigentums in der Bundesverfassung zu verankern. Das erste ist erfüllt und das zweite ist überflüssig. Gebot Nummer 8 in der Bibel lautet: «Du sollst nicht stehlen» und die Eigentumsgarantie gibt es auch seit langem (Bundesverfassung Art. 26, Abs. 1).
Ein Trojaner
Wäre es dem Schaffhauser Mundhygieneartikel-Fabrikanten wirklich um die Sache gegangen, hätte er seine Volksinitiative so einfach und schlüssig formuliert, wie es seinerzeit die Minarettverbots-Initiative war: «Die Abzockerei ist verboten.» Aber das detaillierte Rezept, wie das Aktionärs-Eigentum vor der Raffgier der Manager abgeschirmt werden kann, wird mit dem entlarvenden Satz eingeleitet: «Zum Schutz der Volkswirtschaft, des Privateigentums und der Aktionärinnen und Aktionäre sowie im Sinne einer nachhaltigen Unternehmensführung regelt das Gesetz die im In- oder Ausland kotierten Schweizer Aktiengesellschaften nach folgenden Grundsätzen». Einem Trojaner gleich wird sich da in unsere Verfassung der Schutz von Aktienbesitz und Privateigentum einnisten und wir werden uns mit Wehmut an die Überwindung des Kapitalismus im SP-Parteiprogramm zurück erinnern.
Nein bedeutet Ja
Minder hat es aber auch durch einen jahrelangen Kuhhandel mit Bundesrat und Parlament geschafft, dass selbst ein Nein zu seiner Initiative im Prinzip ein Ja bedeutet. Denn der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments tritt nur in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird. Doch das Parlament enthält sich einer Abstimmungsempfehlung. Die Haltung ist vernünftig und darf als Aufforderung zur Stimmenthaltung interpretiert werden. Abstimmen gehen und bei der Abzockerinitiative leer einlegen – das ist gleichzeitig der Protest gegen eine perfide Art von Missbrauch der direkten Demokratie.

NACHTRAG
Thomas Minder selbst erklärt, die «Abzockerlöhne» würden nicht verschwinden.
Die Empfehlung, die Abstimmungsfrage Wollen Sie die Volksinitiative «gegen die Abzockerei» annehmen? weder mit Ja noch mit Nein zu beantworten, sondern aus Protest das Feld leer zu belassen, hat Aufsehen und Empörung beim politischen Establishment erregt. «Je länger der Abstimmungskampf dauert, umso grösserer Blödsinn kommt», beklagte sich Thomas Minder.
Die von «Blick» (Ausgabe vom 7. Februar 2013) befragten Partei- oder FraktionschefInnen sind im Prinzip alle dieser Meinung. SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin soll dem «Blick»-Journalisten zudem diktiert haben: «Die Initiative gehöre in eine Reihe von Begehren, in denen es um eine gerechte Verteilung von Löhnen und Einkommen gehe.» Auch er ist somit Minder auf den Leim gekrochen. Denn zum Beispiel in einem Interview in der Genfer Tageszeitung «Le Temps» (Ausgabe vom 2. Februar 2013) soll Minder erklärt haben: «Mein Ziel ist es nicht, die Löhne zu senken. Wenn die Aktionäre beschliessen, Abzockerlöhne zu bezahlen, ist das ihr Problem.» Die ideale Spannweite zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn im Unternehmen ist für Minder laut seinen Aussagen in «Le Temps» das Verhältnis 1:30.
Niemand auf den Chefetagen der grossen Banken und Unternehmen muss um sein Millionengehalt bangen. Mit andern Worten: weder ein Nein noch ein Ja zu dieser Initiative wird irgendetwas in die Richtung einer gerechteren Verteilung von Einkommen verändern.
Oswald Sigg


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3 Meinungen

  • am 6.02.2013 um 14:57 Uhr
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    Hat denn Herr Sigg bisher geschlafen? Warum hat er nicht schon früher gute Beiträge zur Meinungsbildung veröffentlicht?

  • am 7.02.2013 um 16:12 Uhr
    Permalink

    Ob es wirklich eine so klar überlegte Strategie war, weiss ich nicht. Dass die Abzockerei weder durch die Initiative noch durch den Gegenvorschlag in Griff zu kriegen ist, glaube ich auch. Es gibt jede Menge von Umgehungsmöglichkeiten bei beiden Varianten.

    Demnach wird auch keine der beiden Varianten der Wirtschaft ernsthaft schaden – entgegen allen Behauptungen.

    In Wahrheit geht es um etwas anderes: um einen Machtkampf. Das ist auch der Grund, warum die Economiesuisse diesen schon grotesken Riesenaufwand betreibt und die Parteien aus der Deckung nervös beobachten, was passiert.

    Bisher sah sich die Elite in Wirtschaftsfragen von der Bevölkerung durch dick und dünn für nahezu alles legitimiert. Geht diese Abstimmung für die Elite jedoch schief, ist das ein Signal: Man könnte es «von unten» ja auch auf andern Gebieten als nur bei «Ausländerthemen» versuchen.

    Das könnte das System Schweiz durchaus erschüttern.

    Mit einem «Ja» kann man von unten immerhin mal, ohne jemanden zu gefährden, einen Warnschuss abgeben: Alles nehmen wir nicht mehr hin.

  • am 7.02.2013 um 20:59 Uhr
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    Ich bin da auch geteilter Meinung. Möglicherweise bringt das nicht mehr als eine kleine Erschütterung.
    Auf was ich Hoffnung setze ist die 1:12 Initiative. Die wird die Elite endgültig aus dem Konzept bringen und mindestens ein kleines Erdbeben auslösen.
    Wenn das durchkommen sollte, habe ich damit verbunden auch die Hoffnung, dass um die Erhöhung der niedrigen Löhne nicht mehr gekämpft werden müsste. Vieles würde sich ergeben.
    Da wird die Angst verbreitet werden, dass wir nicht mehr wettbewerbsfähig sein würden. Meine Meinung ist, was bringt uns denn dieser Wettbewerb? Haben wir nicht schon viel mehr als wir eigentlich brauchen. Und dort wo Nachholbedarf ist, haben die Menschen oft kaum genug zum Ueberleben.
    Diese Erschütterung täte der Welt gut. Davon bin ich überzeugt. Es würde sicher helfen, die Schere zwischen arm und reich wieder etwas zu schliessen.

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