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Ein Plakat ruft zur Volkszählung in Myanmar auf © cc

Myanmar: Volkszählung mit Zündstoff

Peter G. Achten /  Die erste Volkszählung seit über 30 Jahren könnte ethnische und religiöse Spannungen im Vielvölkerstaat Myanmar weiter anheizen.

Rund 100’000 Lehrer und Lehrerinnen sind seit dem 1. April landesweit mit Fragebögen unterwegs, um die Einwohner in Myanmar zu zählen. Die komplexe Erhebung zum Bestand der Nation soll der Regierung gesicherte sozio-ökonomische Daten liefern. Denn mit den bislang notorisch unzuverlässigen Statistiken glich das Lenken der Wirtschaft und Gesellschaft einem Blindflug ohne Instrumente. Ohne einigermassen verlässlich-akkurate Zahlen kann selbst die demokratischste Regierung nichts ausrichten.
Wichtige Bevölkerungsdaten fehlen
Die letzte zuverlässige Volkszählung wurde 1931 von den britischen Kolonialherren durchgeführt. Doch diese Zahlen sind heute längst überholt. In den Jahren 1973 und 1983 liess die Militärjunta von General Ne Win sein mit harter Hand unterdrücktes Volk durchleuchten. Damals wurde eine Bevölkerung von 35,5 Millionen gezählt, der Anteil der Burmesen – der Barma – wurde mit 69 Prozent ausgewiesen. Doch die Resultate dieser Volkszählung wurden wegen der Methode und der politischen Umstände stets angezweifelt. Über die heutigen Bevölkerungszahlen in Myanmar gehen die Schätzungen weit auseinander: Sie variieren – je nach Interpretation der Daten von 1983 – zwischen 45 und 65 Millionen.
Auch der Anteil der Ethnien an der Gesamtbevölkerung wird unterschiedlich interpretiert. Nach Ansicht der meisten Politiker in Myanmar macht der Anteil der Burmesen heute mehr als 60 Prozent aus. Andere wiederum schreiben den ethnischen Minderheiten einen 60-Prozent-Anteil an der Gesamtbevölkerung zu. Genaueres wird man im Juli wissen, wenn erste provisorische Daten vorliegen werden. Das Endergebnis wird für 2015 erwartet, dem Schicksalsjahr, in dem allgemeine Wahlen stattfinden sollen.
Ein politisch heikles Projekt
Wegen «technischer und logistischer» Probleme verlängerte das Ministerium für Bevölkerung und Immigration die angelaufene Erhebung jetzt zum zweiten Mal bis Ende Mai. Kein Wunder, denn die Herausforderungen sind enorm. Das Land ist gross, unwegsam, in einigen Provinzen gibt es noch bewaffnete Konflikte. Und: Das Verständnis der vorwiegend mausarmen Bevölkerung für Sinn und Zweck einer Volkszählung ist bestenfalls gering, meist aber überhaupt nicht vorhanden.
Der Zensus zum jetzigen Zeitpunkt ist umstritten. Vor allem Menschenrechtsorganisationen im Ausland warnten, die politische Lage in Myanmar sei noch zuwenig stabil, zumal in den Bundesstaaten der Minoritäten wie etwa Shan, Karen, Chin, Cachin, Mon und Rakhine. Doch bisher verlief die Volkszählung laut internationalen Beobachtern und der UNO mit wenigen Ausnahmen geordnet, diszipliniert und ohne Zwischenfälle.
Trotzdem: Die Volkszählung in Myanmar ist ein politisch heikles und für die erst wachsende Demokratie ein höchst gefährliches Projekt. Denn bei der Erhebung der Daten wird auch nach der Ethnie gefragt – im Vielvölkerstaat Myanmar ein politisch hochbrisantes Thema. Von den britischen Kolonialherren erbte Burma 135 Nationalitäten, die als Minderheiten offiziell anerkannt sind. Diese imperialistische Ethnienliste ist längst überholt und unpräzis. Dennoch erliess die Militärjunta 1982 ein Bürgerrechtsgesetz basierend auf dieser unseligen Liste.
Muslimische Minderheit ohne Rechte
So wurden zum Beispiel die Rohingyas im südwestlichen, an Bangladesh grenzenden Bundesstaat Rakhine nie als Bürger von Myanmar anerkannt. Angehörige dieser muslimischen Minderheit gelten bis heute als «illegale Immigranten», obwohl sie seit Generationen im Land leben. Gemäss UNO sind die Rohingyas eine der am meisten verfolgten Minderheiten weltweit. Bereits letztes Jahr kam es im buddhistisch geprägten Bundesstaat Rakhine, zumal in der Stadt Sittwe, zu wüsten Ausschreitungen gegen die Rohingyas (Infosperber berichtete). Muslime wurden angegriffen, Häuser zerstört, Moscheen angezündet. Die Wut buddhistischer Eiferer erreichte auch andere Landesteile, obwohl der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung sehr gering ist. Derzeit sind es gerade mal vier Prozent in einem Land, das zu über 90 Prozent buddhistisch ist.
Noch im März, kurz vor Beginn der Volkszählung, hetzte der landesweit bekannte buddhistische Mönch Ashin Wirathu erneut gegen die Rohingyas. Mit Erfolg: Das Ministerium für Bevölkerung und Immigration verfügte, dass sich die rund eine Million Rohingyas bei der Volkszählung als Bengalen registrieren lassen müssen. Der Begriff «Rohingya» kommt in den Unterlagen der Volkszählung nicht vor. Das Ministerium begründete diesen Schritt damit, dass es zu «ernsthaften Problemen im ganzen Land» kommen könnte, weil die Ethnien-Bezeichnung «Rohingya» als erster Schritt zur Verleihung der Staatsbürgerschaft interpretiert werden könnte.
Die im Westen als moralische Instanz und Demokratie-Ikone gefeierte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schwieg dazu, wie zuvor bei andern heiklen Themen. Sie will es sich für die allgemeinen Wahlen 2015 nicht mit den Wählern verderben.
Religionsfrieden auf dem Prüfstand
Die Resultate der Volkszählung werden jedenfalls Anlass zu heftigen Diskussionen geben. Viele der derzeit geläufigen ökonomischen Annahmen müssen wohl für die künftige Entwicklung in Frage gestellt werden. Auch das brisante Thema der nationalen Minderheiten wird erneut grundlegend zur Debatte stehen. Nicht zuletzt wird auch der Religionsfrieden auf dem Prüfstand stehen, nämlich dann, wenn sich der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung auch nur leicht erhöhen sollte. Die Volksverhetzer rund um Mönch Ashin Wirathu warten nur darauf. Dass sich solche Gruppierungen heute in Myanmar frei äussern dürfen, ist Teil des demokratischen Prozesses mit der wiedererlangten Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit nach der Militärdiktatur.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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