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Mathias Knauer bei Arbeiten zu «Die unterbrochene Spur» am Ort des Arbeitslagers bei Thalheim AG. © Rob Gnant

Der Selbstermächtiger

Guy Krneta /  Der Musikwissenschaftler, Publizist, Filmemacher und Infosperber-Autor Mathias Knauer wird fünfundsiebzig. – Eine Würdigung.

Vor allem als Webgestalter ist Mathias Knauer in jüngerer Zeit in Erscheinung getreten. Zahlreiche Websites für KünstlerInnen, FilmemacherInnen, KomponistInnen, für Kulturverbände und kulturpolitische Aktionen gehen auf ihn zurück. Begonnen hatte er die Programmiertätigkeit vor fünfzehn Jahren, als horrende Internet-Kosten auf die Kulturszene zukamen. Die Aneignung der erforderlichen Kenntnisse begriff er als politischen Akt: Als Selbstermächtigung der Künstlerinnen und Künstler gegenüber den neuen Technologien.

Geborener Bieler

Die Selbstermächtigung, das Handeln im Kollektiv und die Erschliessung neuer technischer Möglichkeiten ziehen sich als Leitmotive durchs Leben des Musikwissenschaftlers, Publizisten, Filmemachers und Aktivisten Mathias Knauer. 1942 in Biel geboren, wurde er als Gymnasiast mit zeitgenössischer Musik und aktuellem Filmschaffen konfrontiert. Er ging zum Musikwissenschaftsstudium nach Zürich, war bald Assistent bei Kurt von Fischer, besuchte die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, lernte Heinz-Klaus Metzger kennen, der ihm, neben Theodor W. Adorno, zum prägenden Lehrer wurde.
Den Unterhalt verdiente er sich in einem Laden für Hifi-Musikanlagen, wo er am Bau von elektroakustischen Anlagen mitwirkte. Hier hatte er auch die Möglichkeit, neuste Aufnahme- und Abspielgeräte zu erproben. Er produzierte Schallplatten und wurde, zunehmend politisiert, 1967 Vorstandsmitglied der «Fortschrittlichen Studentenschaft». Die Wohngemeinschaft teilte er mit Thomas Held und Moritz Leuenberger. Er entwarf studentengerechte, leicht zügelbare Doppelbetten und geriet in den Fokus der privaten und staatlichen Nachrichtendienste – mit dem Vorteil, dass von Sitzungen, Treffen und Aktionen heute umfassende Protokolle vorliegen.

Gewerkschaft «Freie Berufe und Kunstschaffende»

Nach der Entlassung des progressiven Direktors Peter Löffler am Zürcher Schauspielhaus engagierte sich Mathias Knauer mit Bühnen- und Filmschaffenden zusammen für die Gründung einer Gewerkschaft «Freie Berufe und Kunstschaffende». Er wurde Mitbegründer der «Filmcooperative Zürich», die Filme zu aktuellen politischen Kampagnen verlieh. Neben musikkritischer Tätigkeit, u.a. fürs «Volksrecht», die AZ und die damalige «Weltwoche», zogen ihn Filmschaffende vermehrt als Autor und Tontechniker bei. 1975 beteiligte sich Knauer an der Gründung des «Filmkollektivs Zürich».
In der Folge entstand eine Reihe eigener Filme, meist in Zusammenarbeit mit dem Kameramann Rob Gnant. Als Musikwissenschaftler hatte sich Knauer mit seriellen und aleatorischen Kompositionsverfahren befasst. Musikalische Prinzipien wie Variation und Wiederholung übertrug er ins Filmische. Ästhetische Avantgarde und politische Avantgarde waren für ihn untrennbar.

Die unterbrochene Spur

1982 erschien «Die unterbrochene Spur». Ein Film über eine bis dahin verdrängte Seite von Schweizer Geschichte zwischen 1933 und 1945: Über das Schicksal von Flüchtlingen und die Arbeit politisch Verfolgter in der Schweiz. Aber auch über Solidarität, die vielerorts unbemerkt vorhanden war. Dem Film folgte in Zusammenarbeit mit Jürg Frischknecht das gleichnamige Buch – mittlerweile ein Standardwerk, nicht zuletzt da Knauer mit neuen Quellen und unbekannten Protagonisten gearbeitet hatte.
1985 folgte «El pueblo nunca muere», nach einem Werk von Klaus Huber, dem Schweizer Komponisten, dem Mathias Knauer bis heute als Chronist und Webmaster treu blieb. Aufgrund der neuen digitalen Tontechnik, die im Film verwendet wurde, konnte «El pueblo nunca muere» nur mit einem eigens dafür entwickelten Apparat vorgeführt werden. Es folgten Filmtouren im In- und Ausland.
1990 entstand «Konrad Zuse. Porträt des Computerpioniers». Anhand von Zuses Leben und dessen prototypischen Maschinen führt Mathias Knauer hier «die Erfindung des Computers aus dem Geist der Mechanik» vor – eine These, die ihn bis heute beschäftigt.
Der bislang letzte Film «Bitterfeld, 1992» konnte aus einer Folge von unglücklichen Umständen und Zeitereignissen erst 2001 abgeschlossen werden. Aus der Schilderung der Abwicklung der DDR-Chemiewirtschaft wurde ein polemischer Filmessay.

Film- und Kulturpolitik

Zusehends schreckte ihn der immer grössere Gesuchsaufwand für Filmproduktionen und die von ihm als kunstfremd erlebte Förderpolitik. Knauers Tätigkeiten verlagerten sich wieder auf film- und kulturpolitische Verbandsarbeit sowie Publizistik. Er war Stiftungsrat der «Pro Helvetia», wurde Vizepräsident von «Suisseculture», Mitbegründer und Vorstandsmitglied der «Schweizer Koalition für kulturelle Vielfalt».
Als Künstlerinnen und Künstler 2010 das Netzwerk «Kunst+Politik» ins Leben riefen und wir bald darauf die Aktion «Rettet Basel!» starteten, war Mathias Knauer nicht nur Mitinitiant der ersten Stunde, sondern spielte als Webmaster eine zentrale Rolle. Er würde sich nicht als Künstler bezeichnen, auch nicht als Politiker, aber Mathias Knauer ist beides zusammen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Guy Krneta lernte Mathias Knauer im Vorstand des Künstler-Dachverbands «Suisseculture» kennen. Seit ein paar Jahren sind sie beide Vorstandsmitglieder des Künstlerinnen- und Künstlernetzwerks «Kunst+Politik» und Initianten der Aktion «Rettet Basel!».

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Eine Meinung zu

  • am 2.04.2017 um 04:56 Uhr
    Permalink

    Die packende Schilderung der Vita hat mich kulturinteressierten Zeitgenossen (*43) sehr beeindruckt. Meine herzliche Gratulation an Mathias Knauer zum Geburtstag und an Guy Krneta für seine Würdigung.

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