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Moskaus Patriarch Kyrill und Papst Franziskus © wikimedia conmons

«Drittes» Rom spricht mit dem «ersten» Rom

Roman Berger /  Mit ihrem Treffen auf Kuba schreiben Papst Franziskus und Moskaus Patriarch Kyrill Kirchengeschichte.

Nach fast tausend Jahren Spaltung trifft sich das «erste» Rom mit dem «dritten» Rom. So nannte sich Moskau, seit das «zweite» Rom, Konstantinopel, 1453 unter türkische Herrschaft gefallen war. 1054 hatten sich die Ostkirche in Konstantinopel und die Westkirche in Rom gegenseitig exkommuniziert. Es waren theologische und geopolitische Fragen, die zum Schisma geführt hatten.

In den vergangenen Jahrzehnten trafen Franziskus und seine Vorgänger zwar andere Patriarchen, doch nie den aus Russland, das Oberhaupt der grössten orthodoxen Kirche. Dem Moskauer Patriarchen unterstehen mit rund 150 Millionen Gläubigen gut zwei Drittel aller orthodoxen Christen. 20 Jahre lang sei das Treffen vorbereitet worden, hiess es in Moskau.

Die Begegnung findet auf «neutralem» Boden statt. Die Karibikinsel Kuba ist vorherrschend katholisch. Es gibt auch eine kleine orthodoxe Gemeinde. Weil Kuba sozialistisch regiert wird, ist die Insel seit Jahrzehnten ein enger Partner von Moskau. Der Vatikan hat zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Havanna und Washington beigetragen.

Der Papst schwimmt gegen den Strom

Russland und der Vatikan waren erst Ende 2009 bereit, ihre diplomatischen Beziehungen zu normalisieren. Sechs Jahre später wurde Präsident Putin 2015 von Papst Franziskus empfangen. Es war ein deutliches Zeichen, dass der Papst mit der Position des Westens nicht einverstanden war, Russland wegen des Ukraine-Konflikts zu isolieren. Auch mit dem Treffen auf Kuba schwimmt Papst Franziskus erneut gegen den Strom. Denn Moskau steht wegen der Ukraine und seiner Intervention im Syrien-Konflikt weiterhin in Kritik.

«Eine weitere Mauer fällt», kommentierte die linksliberale italienische Zeitung «La Repubblica». Und der Vatikan-Experte Austen Ivereigh bezeichnete das Treffen als «bahnbrechend». Kyrills Kirche sei nicht nur die «antiwestlichste, sondern auch die argwöhnischste» aller orthodoxen Kirchen. Was bewog Kyrill zum Einlenken? Zweifellos hat Präsident Putin sein Einverständnis für das Treffen gegeben. Die russische Führung sieht die orthodoxe Kirche als ideologische Verbündete und als Teil des Machtapparats. Es liegt auf der Hand: Der Dialog mit dem Vatikan ist in Putins Interesse, er kann das Image des Kreml nur verbessern. Dazu passt auch, dass die mehr als ein Dutzend orthodoxer Kirchen erstmals seit 1200 Jahren in diesem Sommer wieder ein panorthodoxes Konzil abhalten wollen – auf der griechischen Insel Kreta. Auch dort kann Patriarch Kyrill neue Verbündete finden.

Die Ukraine, eine «offene Wunde»

Zwischen Rom und Moskau gibt es aber weiterhin viele strittige Fragen. So nennt die Website des Moskauer Patriarchats die Ukraine eine «offene blutende Wunde». In Kiew ist Russland 988 «getauft» worden. Aber ausgerechnet in der historischen Heimat der russischen Orthodoxie gibt es seit der Unabhängigkeit der Ukraine (1991) neben der moskautreuen orthodoxen Kirche noch zwei weitere von Moskau unabhängige nationalukrainische orthodoxe Kirchen. Erst kürzlich hat sie Kyrill öffentlich als «Nationalisten und Schismatiker» gegeisselt.

Im Westen der Ukraine, die lange Zeit unter litauisch-polnischer und dann österreichischer Oberhoheit stand, ist die griechisch-katholische Kirche beheimatet. Die sogenannten «Unierten» befolgen die orthodoxe Lithurgie, als ihr Oberhaupt anerkennen sie aber den römischen Papst. Als 2001 der polnische Papst Johannes Paul II. in Lemberg die «Wiedergeburt» dieser Kirche feierte, empfand Moskau diesen Akt als Provokation. Auch die Errichtung von vier katholischen Diözesen in Russland ein Jahr später war für das Moskauer Patriarchat ein Affront.

Spannungen im Moskauer Patriarchat

Das Moskauer Patriarchat beansprucht Jurisdiktion über alle orthodoxe Gläubige auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, mit Ausnahme Georgiens. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts hat sich die politische Situation verschärft, was auch innerhalb der Kirche zu spüren ist.

Zu Spekulationen Anlass gab etwa die Entlassung oder Versetzung von zwei einflussreichen Kirchenvertretern im Moskauer Patriarchat. Ihre Entfernung, so glaubwürdige Quellen, komme einer Schwächung jenes Lagers gleich, das eine enge Bindung an den Kreml vertrete. Kyrill hatte mit dem Kreml zusammengearbeitet, als es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion galt, die geschwächte und verarmte Kirche wieder aufzubauen. Heute jedoch, so vermuten Insider, wolle Kyrill das Schicksal der Kirche und sein eigenes nicht allein vom Kreml abhängig machen. Mehr Eigenständigkeit gebe dem Patriarchen auch mehr Autorität innerhalb der orthodoxen Gemeinschaft.

Scharf beobachtet

Der historische Dialog mit dem «ersten» Rom wird von den russischen Medien genau beobachtet. So glaubt die der Regierung nahe stehende «Rossiyskaya Gazeta», die beiden grossen christlichen Kirchen hätten verstanden, es sei Zeit, die Probleme der modernen Welt gemeinsam anzugehen. Für die Wirtschaftszeitung «Kommersant» steht die schwierige Situation im Mittleren Osten im Vordergrund. Der Schutz der von Gewalt bedrohten christlichen Gemeinden in der Region läge im gemeinsamen Interesse von Moskau und Rom. Dass es nach Jahrhunderten der Spaltung den beiden Kirchenführern gelungen sei, eine Brücke zu schlagen, sei das entscheidende Ereignis, meint Andrei Zolotov (www.russia-direct.com).

Gemäss der 1993 angenommenen Verfassung definiert sich Russland als säkularer Staat, in dem keine Religion zur Staatsreligion werden darf. Doch nur vier Jahre später wurde zurück buchstabiert. Das 1997 erlassene Religionsgesetz anerkennt die «besondere Rolle der Orthodoxie in der Geschichte Russlands». Die Orthodoxie beansprucht also eine allen anderen Religionen und Konfessionen übergeordnete Stellung. Diese Privilegierung machte die Kirche wiederum abhängig vom Staat.

Bei Umfragen wird die orthodoxe Kirche oft zusammen mit der Armee als glaubwürdigste Institution erwähnt. Eine Mehrheit von Russen bekennt sich als «orthodox». Es sind aber nur wenige Prozent, die den Glauben praktizieren.


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