Kommentar

Sprachlust: Umweltsünder, lies und rechne!

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Was kann es heissen, wenn die Aufstehroutine einen Öko-Fussabruck von 3,3 verursachen oder ein Gebäude 2000-Watt-gerecht sein soll?

«Zu Hause duschen und essen belastet die Erde mit 3,3.» Gemeint war der ökologische Fussabdruck, der misst, wie stark die Lebensweise Ressourcen beansprucht. Beträgt der Wert 1, so könnten alle Menschen so leben und die Erde nähme keinen Schaden. Nun sollen wir schon mehr als dreimal soviel beansprucht haben, kaum sind wir aufgestanden und verköstigt? Noch mysteriöser wird die Sache, weil angeblich eine interkantonale Teamsitzung in Bern und ein «Shoppingtrip» nach New York je just die gleiche Belastung von 3,3 verursachen. Dürfen wir mit so schlechtem Gewissen wenigstens täglich duschen und frühstücken, wenn wir dafür auf derlei Sitzungen und Ferien verzichten?
Wenn ich es richtig verstanden habe, dürfen wir, und wir dürfen sogar so viel und so weit weg tagen und einkaufen, wie es dem schweizerischen Durchschnitt entspricht. Denn die Studie, um die es in diesem Zeitungsbericht ging, berechnete für ausgewählte Beispiele aus einem durchschnittlichen Lebenswandel, wie der Ressourcenverbrauch mit bestimmten Effizienzprogrammen reduziert werden könnte. Wäre es genug, um das Ziel «Fussabdruck 1» zu erreichen, wie es die Initiative «Grüne Wirtschaft» verlangt? Das Resultat: Mit einer bestimmten Messmethode und dem ganzen erwogenen Massnahmenpaket ginge es in allen untersuchten Bereichen, am besten sogar bei den Flugreisen.
2000 Watt pro …
Demnach könnten die wenigen Vielflieger dereinst am stärksten dazu beitragen, den Durchschnitt zu drücken, und sie sowie alle andern dürften dafür sogar etwas länger duschen und mehr frühstücken. Allerdings nicht zu viel, denn der gesamte Bereich «Wohnen und Essen» macht gemäss der Fussabdruck-Berechnung fast die Hälfte unserer Kollektivlast von 3,3 aus, die ganze private Mobilität dagegen nur einen Achtel. Bei den Teilbereichen, die für die Studie ausgewählt wurden, spielte es keine Rolle, ob ihr Anteil je gleich gross ist. Jeder Bereich trägt in dem Mass, wie er eben Teil der durchschnittlichen Lebensweise ist und Ressourcen beansprucht, zum Gesamtverbrauch bei. Nur in diesem sehr theoretischen Sinn beanspruchen Morgentoilette und -essen «die Erde mit 3,3».
Missverständlich dargestellte Mathematik ist oft auch im Spiel, wenn es ums Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft geht. Das fängt bei den Masseinheiten an, wenn man etwa liest: «In der Schweiz werden derzeit rund 6000 Watt pro Jahr und Kopf verbraucht.» Das ist Unsinn: In Watt misst man weder den Verbrauch noch die Produktion in einer bestimmten Zeitspanne, sondern die Leistung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fliesst. Eine 11-Watt-Sparbirne verbraucht laufend 11 Watt, wenn sie brennt, und sonst nichts (abgesehen davon, was ihre Produktion verbraucht hat und was dereinst ihre Entsorgung an Energie fressen wird). Lassen wir einen 1000-Watt-Fön eine Stunde lang laufen, so haben wir eine Kilowattstunde verbraucht und unsere Stromrechnung wird um so viel höher.
Mit vielen «Wenn»
Die 2000-Watt-Gesellschaft ist eine, in der allen zu jeder Zeit je 2000 Watt Leistung zur Verfügung stehen. Man kann damit 20 Hunderterbirnen brennen lassen oder zum Milchkauf beim Bauern eine kleine Melkmaschine in Betrieb halten oder ein paar Dutzend Kilogramm Auto herumkutschieren – aber immer nur eines davon aufs Mal. Pro Kopf und Tag werden in dieser Gesellschaft 48 Kilowattstunden Energie (nicht nur elektrische) verbraucht, und in einer Gesamtrechnung müssen auch die energetischen Kosten der konsumierten Güter einbezogen und auf den laufenden Verbrauch umgerechnet werden.
Wenn also ein Neubau als «2000-Watt-gerecht» angepriesen wird, dann heisst das im besten Fall: Wären alle Gebäude so, dann hätte das Bauwesen (Erstellung, Betrieb und Abbruch) seinen Anteil am gesamten Energieverbrauch angemessen reduziert. Die 2000-Watt-Gesellschaft wäre erreicht, wenn alle anderen Sektoren anteilsmässig das Gleiche fertigbrächten. Erklärt die Bauwerbung das alles, so ist sie ehrlich – aber kaum wirksam.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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3 Meinungen

  • Portrait_Marcel1
    am 17.09.2016 um 13:39 Uhr
    Permalink

    Lieber Daniel, der Fallstricke sind tatsächlich viele, und einen hast auch du übersehen: Mann könnte, wenn man «2000-W-gerecht» lebte, keine zwanzig 100-W-Glühbirnen rund um die Uhr brennen lassen, selbst wenn man sonst nichts mehr täte, denn die 2000 W beziehen sich auf die Primärenergie. Eine 100-W-Glühbirne verbraucht 100 W Endenergie, aber mehr Primärenergie, je nach Art der Energieproduktion. Und da ist die Grauenergie der Birnenherstellung und -entsorgung dann noch nicht enthalten…
    Gruß, Marcel

  • am 17.09.2016 um 18:37 Uhr
    Permalink

    2000 w und 3.3 erden sind unterschiedliche modelle, die das benehmen der menschheit auf planet erde ausdrücken.
    die 2000 w idee kam von der eth 1997. damals sagten eth-experten, dass wir mit maximum 2000 w (PRO MENSCH) zukunftsfähig wären. seither sind wir aber bald 1.4 mio menschen mehr im land und dürften also pro kopf nur noch eine 1600 w gesellschaft sein. hier immer noch vom ziel 2000 w auszugehen ist ein betrug.
    3.3 erden ist eine angabe, die wir im moment als gesamtbevölkerung (8.35 mio. menschen) ausweisen. ziel ist es, das wir als gemeinschaft nicht mehr brauchen, als das was mutter erde uns während eines jahres schenkt – unabhängig von der bevölkerungszahl. dieses modell ist ehrlicher, weil es die gesamtbelastung von uns als kollektiv berücksichtigt.
    die bevölkerungsentwicklung wird gerne-bequem ignoriert: das ist ein oberfallstrick.
    EFFEKT unseres verhaltens = anzahl MENSCHEN mal CONSUMPTION pro kopf: E = M x C
    sonnige grüsse von fairCH.com

  • am 20.09.2016 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Super, dass Sie auf die Unsitte vieler Journalisten hinweisen, Leistung und Energie zu verwechseln. Deshlab ist das 2000W-Modell schwierig zu vermitteln.

    Das Fussabdruckmodell ist zwar ungenau, aber anschaulich. Es gibt zig Online-Rechner, die alles Mögliche berücksichtigen, aber wie es scheint, nicht alle Komsumgüter.

    Bei diesem österreichischen Rechner http://www.fussabdrucksrechner.at schneide ich in der persönlichen Berchnung *relativ* gut ab, nämlich 10 Mal besser als ein durchschnittlicher Österreicher, verbrauche aber trotzdem 2-2.5 Mal mehr Fläche, als mir «zusteht». Dabei ist für mich weitaus der grösste Anteil für Ernährung, wobei die Unterschiede von Vegan bis zu täglich Fleisch gar nicht so gross sind, wenn ich nur dies variiere. (Eine CO2-Rechnung sähe wohl ganz anders aus.)

    Der Rechner nimmt Ernährung offenbar genau, wie dieses Beispiel zeigt, wo der Unterschied zwischen Bio-Pfirsiche (23.5 m2/kg) und konv. Pfirsiche (29 m2/kg) berechnet wird. http://www.fussabdrucksrechner.at/upload/foodprint/16_Pfirsich.pdf

    Hingegen gibt es keine Möglichkeit viele Konsumgüter wie Kleider einzugeben, so dass es sich entweder um Durchschnittswerte handelt, oder der tatsächliche Fussabdruck noch höher ist.

    Auf die Abstimmung «Grüne Wirtschaft» bezogen, zeigt sich, dass das Ziel von «1 Erde» bis 2050 in unsere jetzigen Gesellschaft wohl illusorisch ist, aber man sollte trotzdem JA stimmen, nur damit es nicht noch schlimmer wird oder etwas weniger schnell ganz schlimm wird.

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