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Thailändisches Militär hat dieses Flüchtlingsboot zurück aufs Meer geschickt © zdf

Flüchtlinge in Asien: Gefangen auf dem Meer

Peter G. Achten /  Tausende Flüchtlinge treiben in Booten vor den Küsten südostasiatischer Länder und hoffen auf Hilfe - doch keiner will sie haben.

Südostasien hat seit dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Flüchtlingen zu verantworten. Die Flüchtlingsströme 1947 nach der Unabhängigkeit Indiens und der Aufteilung des Subkontinents in Indien und Pakistan haben Millionen betroffen. Hunderttausende sind ums Leben gekommen. Ebenfalls in Erinnerung geblieben sind die Bootsflüchtlinge nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975, den die Vietnamesen den amerikanischen Krieg nennen. Die Verteilung der geflüchteten Vietnamesinnen und Vietnamesen über die ganze Welt ist kein Ruhmesblatt für die internationale Gemeinschaft, insbesondere für die USA, aber auch für Europa oder China, Japan und die Schweiz.
Ängste schüren
Jahrzehnte später fanden die in Sri Lanka verfolgten Tamilen während und nach dem Ende des Bürgerkrieges meist im entfernten Europa und nicht etwa im indischen Bundesstaat Tamil Nadu Aufnahme. Das erstaunt nicht, denn die asiatischen Staaten, von Japan über China und Indien bis hin zu Südostasien, sind in dieser Frage extrem restriktiv. Der Grund ist einfach: Die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen sind für die meisten Länder zu hoch. Dass Politiker Ängste gegen Minderheiten schüren, ähnlich wie Rechtspopulisten in Europa, verwundert deshalb nicht. Im Verband Südostasiatischer Nationen (Asean) vermeidet man das Thema, denn kommunistische, demokratische und autoritäre Länder sind Mitglieder. Politische Flüchtlinge sind deshalb ein Tabu. Ähnlich wie in Europa wurde der Ruf nach einem Flüchtlingsgipfel laut, doch die Interessen der einzelnen Asean-Staaten sowie Indien und Bangladesh sind sehr viel weiter voneinander entfernt als beispielsweise die Position der Schweiz und der EU.
Profiteure dieser desolaten Lage sind skrupellose Schlepperbanden und transnationale kriminelle Organisationen, die zum Teil in enger Zusammenarbeit mit korrupten Lokal-Regierungen und käuflichen Militärs und Polizisten Milliardengewinne scheffeln. Zu extrem niedrigen Löhnen werden die bedrohten Flüchtlinge weitervermittelt in legale Unternehmen oder in die Schattenwirtschaft. Nötigung, Erpressung, Zwangsarbeit und Prostitution sind im kriminellen Geschäftsmodell inbegriffen.
Rohingyas ohne Rechte, ohne Hoffnung, ohne Pass
Die gegenwärtige Krise hat ihren Ausgangspunkt vor allem in Myanmar (Burma) und Bangladesh. In Bangladesh drängen jedes Jahr zwei Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Doch Jobs sind Mangelware. Einigen gelingt es, in Nahost eine schlecht bezahlte Arbeit zu ergattern. Die meisten jedoch sind ohne Hoffnung. International gut vernetzte Schlepperbanden nutzen das aus, versprechen das Blaue vom Himmel, wohlwissend dass sie die Versprechungen nicht einhalten können. Der Profit der Schlepper jedoch stimmt.
Während die jungen Männer und Frauen aus Bangladesh nach europäischem Sprachgebrauch als «Wirtschaftsflüchtlinge» gelten – wie im 19. Jahrhundert viele nach Nord- und Lateinamerika emigrierte Schweizer – ist die Lage für die Minderheit der Rohingyas in Myanmar sehr viel komplexer. Im burmesischen Gliedstaat Rakhine an der Grenze zu Bangladesh lebt die muslimische Minderheit der Rohingyas. Die rund eine Million Rohingyas stehen unter extremem Druck. Sie können sich nicht frei bewegen, dürfen kein Land besitzen und die Staatsangehörigkeit wird ihnen – zum Teil seit über 200 Jahren im Land – verweigert. In den Jahren 2012 und 2013 griffen buddhistische Extremisten unter den Augen der burmesischen Polizei und Militärs Quartiere und Dörfer der Rohingyas an, mordeten, brandschatzten und plünderten. Seither leben rund 100’000 Rohingyas in Lagern in Myanmar und 200’000 in Bangladesh unter extrem schlechten Bedingungen.
Buddhistische Hetze gegen Moslems in Myanmar
Auch jenseits der burmesischen Grenze in Bangladesh sind die Rohingyas nicht willkommen. Kurz, die Rohingyas sind Geächtete, ohne jede Hoffnung. Myanmars Regierung bezeichnet sie verächtlich als «Bengalis» – der Ausdruck Rohingyas darf in Myanmar nicht verwendet werden. Kommt erschwerend hinzu, dass im buddhistischen Myanmar Mönche ungehindert gegen die verschwindend kleine Minderheit der Muslime im Lande hetzen. Der Vorwurf der buddhistischen Hetzmönche: Die Muslime beabsichtigten, in Myanmar einen islamischen Staat zu errichten. Die Argumentation hört sich ähnlich an wie die Ängste, die auch in Europa geschürt werden. Doch nüchtern betrachtet ist leicht einzusehen, dass die Gefahr eines islamischen Staats in Myanmar ein Hirngespinst ist. Denn lediglich zwei Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Selbst in Europa, wo der Bevölkerungsanteil der Muslime etwas grösser ist, kommt man zum gleichen Schluss.
Auf der Suche nach dem gelobten Land
Die südostasiatische Flüchtlingskrise hat sich in den letzten vier Wochen dramatisch zugespitzt. Die Verfolgung der Rohingyas in Burma und die Arbeitslosigkeit in Bangladesh haben im laufenden Jahr die Flüchtlingszahlen stark ansteigen lassen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) rund 25’000 Flüchtlinge von Myanmar und Bangladesh aus in Booten aufgebrochen. Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) treiben derzeit rund 8000 Migranten, zumeist aus Myanmar und Bangladesh, seit Tagen, ja Wochen in kaum seetüchtigen Schiffen von der Andamansee in die Strasse von Malakka. Die im eigenen Land verfemten und rechtlosen Rohyngias hoffen, sich in Malaysia oder Thailand als Tagelöhner auf Baustellen, in Fabriken oder auf Fischkuttern durchzubringen, um Geld an ihre notleidenden Angehörigen im Rakhinestaat schicken zu können.
Auf der malaysischen Insel Langkawi und an der indonesischen Küste von Aceh sind Flüchtlingsboote gelandet, die von den Schleppern verlassen worden sind. Ein anderes Boot mit 400 Menschen hat die indonesische Küstenwache aufgegriffen, mit Wasser und Proviant versorgt und wieder aufs Meer hinaus in Richtung Malaysia geschickt. Das verhältnismässig wohlhabende muslimische Land Malaysia und das ebenso prosperierende buddhistische Thailand sind tatsächlich die Wunschdestinationen der Migranten. Allerdings hat Malaysia bereits 125’000 Flüchtlinge aufgenommen – man muss sich diese Zahl als Europäer und Schweizer einmal vorstellen…
Thailand greift hart durch
Die wichtigste Anlaufdestination für die mafiosen Schleppernetzwerke ist seit längerer Zeit Thailand. Dort haben Schlepper in illegalen und halblegalen Auffanglagern extrem profitable Geschäfte mit den Flüchtlingen gemacht. Arbeiter und Arbeiterinnen wurden zu Hungerlöhnen nach Thailand oder Malaysia vermittelt. Die thailändische Militärregierung hat dem gierigen Treiben nun ein Ende gesetzt. Thailands Premierminister General Prayut Chan-ocha warnte, dass im Kampf gegen die organisierten Schlepper-Kriminellen ab sofort Null-Toleranz gelte. Aktiv geworden ist Thailand nach der Entdeckung eines Massengrabes mit den sterblichen Überresten von Flüchtlingen. Die meisten waren Rohingyas. Sie verstarben in Lagern, die offensichtlich als Durchgangsstationen dienten. Seit Thailand rigoros gegen Schlepper vorgeht, wagen diese nicht mehr, in Thailand anzulegen und Überlassen die Flüchtlinge ihrem Schicksal auf dem Meer.
Wie das Drama am Mittelmeer zeigt auch die südostasiatische Flüchtlingskrise vor allem eines: Das Problem kann nur international angegangen werden. Und: Die von Rechtspopulisten sowie Politikern aller Couleur geforderten Patentlösungen funktionieren weder im Osten noch im Westen.
Das Schweigen der Demokratie-Ikone Suu Kyi
Gewiss, das südostasiatische Flüchtlingsdrama hat ökonomische Wurzeln. Doch insbesondere in Burma sind die religiös-ethnischen Spannungen noch entscheidender und verschärfen die Krise. Doch von jenen, die sonst von ihrem moralischen Hochsitz aus bei jeder Gelegenheit ihre Stimme erheben, ist derzeit nichts zu hören. Die im Westen bewunderte burmesische Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi schweigt zum Problem der Rohingyas. Vor einiger Zeit räumte sie lediglich ein, dass im Rakhine-Staat zwischen Buddhisten und Moslems ein Gewalt-Problem existiere – von beiden Seiten, fügte sie hinzu, und demütigte damit die Rohingyas gleich ein weiteres Mal. Denn die Gewalt ging einseitig von den Buddhisten aus. Doch Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi will ihre buddhistischen Wählerinnen und Wähler nicht vergraulen, denn im Herbst möchte sie mit ihrer Oppositionspartei die Wahlen gewinnen. Deshalb schweigt sie. Ein anderer Friedensnobelpreisträger dagegen, der Dalai Lama, lässt sich den Mund nicht verbieten. Er redete seinen buddhistischen Glaubensbrüdern und Schwestern eindringlich ins Gewissen. Ob die Buddhistin Aung San Suu Kyi wenigstens zugehört hat?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in Peking.

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