Kommentar

Deutschland argumentiert gegen den Rechtsstaat

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Peer Steinbrück und Jürgen Trittin argumentieren für die Wiedereinfühung des «Rechts des Stärkeren». Das weckt böse Erinnerungen.

Die Nachricht: Die Bundesanwaltschaft der Schweiz erlässt Haftbefehl gegen drei deutsche Steuerfahnder, weil sie, so der Verdacht, «konkrete Aufträge zum Ausspionieren von Informationen der Credit Suisse erteilt» hätten.

Der Kommentar dazu von Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag: Der Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder ist «ein bodenloser Skandal». «Schlimmer: Jetzt wird offensiv der Schweizer Staat zum Schutz von Kriminellen eingesetzt».

Der Kommentar dazu von Peer Steinbrück, dem früheren Bundesfinanzminister und potenziellen Bundeskanzler-Kandidaten der SPD (abgegeben gegenüber dem Schweizer Radio am Rande des SPD-Landesparteitags): «Die Schweiz verwechselt Ursache und Wirkung. Was die nordrhein-westfälischen Finanzbeamten machen, ist die Wirkung davon, dass die Schweiz beziehungsweise die Schweizer Bankinstitute vorsätzlich deutsche Steuerbürger zum Steuerbetrug einladen. Das ist der Skandal.»

Ist die Reaktion der beiden deutschen Politiker in der Sache richtig und in der Schärfe zumindest angemessen?

Man muss kein Freund der Schweizer Banken und schon gar nicht der Schweizer Banker sein, ja man muss nicht einmal das Schweizer Bankgeheimnis gutheissen, um klar sagen zu können: Die Kommentare der beiden prominenten Politiker sind vielleicht wirkungsvoll betriebener Wahlkampf. Eine rechtsstaatlich vertretbare Argumentation enthalten sie sicher nicht. Das Grundproblem nämlich ist ein anderes: Darf Unrecht mit Unrecht bekämpft werden? Denn genau das tut Deutschland.

Deutschland bekämpft Unrecht mit Unrecht

Konkret: Steuerhinterziehung ist Unrecht. (Man mag die aktive Beihilfe zu diesem Unrecht und/oder die passive Duldung dieses Unrechts durch gewisse Schweizer Banken als «Skandal» bezeichnen; dagegen ist nichts einzuwenden.) Bankangestellte, zum Beispiel IT-Spezialisten, in einem anderen Land zum Diebstahl von Daten aufzufordern und das so gewonnene Diebesgut dann zu einem Preis von 2.5 Millionen Euro zu «kaufen», ist ebenfalls Unrecht. Beide Unrechte, die Steuerhinterziehung und der Daten-Klau, sind Unrecht auf der gleichen Unrechtsstufe: Es geht in beiden Fällen um Geld, nicht etwa um Menschenleben. Im einen Fall wird Geld widerrechtlich gespart. Im anderen Fall wird Geld widerrechtlich ausgegeben.

Eine andere Geschichte wäre es, wenn mit unlauterem Einsatz von Geld bedrohte Menschenleben gerettet werden könnten. Dann wäre das kleinere Unrecht (mit Geld) zur Verhinderung des grösseren Unrechts (zum Beispiel Mord) gegebenenfalls legitim und zu rechtfertigen.

Es geht um Grundsätzliches

Wenn Unrecht mit Unrecht bekämpft wird, fehlt es an Rechtsstaatlichkeit. Das müssten auch die beiden deutschen Politiker wissen. Vom einen, von Peer Steinbrück, wissen wir schon seit längerem, dass er für adäquaten Einsatz der Mittel kein Sensorium hat. Seine früher geäusserte Androhung gegenüber der Schweiz, die «deutsche Kavallerie» vorbeizuschicken, ist nicht nur eine totale Geschmacklosigkeit, sie ist in Anbetracht der deutschen Geschichte auch absolut widerwärtig. Und dass er diesen seinen Ausspruch nicht etwa als Ausrutscher sehen will, sondern auf diese seine Formulierung sogar stolz ist und sie kürzlich wiederholt hat, macht ihn zum aktiven Anstifter neuer negativer «Gefühle» vieler Schweizer gegenüber dem «grossen Kanton». Wer Steinbrücks neue Aussage gegenüber der Schweiz am Radio auch gehört hat, also auch den «Sound» mitbekommen hat, der wird bei einer nächsten Schweizer Volksinitiative für die Abschaffung der Armee mit Sicherheit ein «Nein» einlegen – in trauriger Erinnerung an vergangene und vielleicht auch in dumpfer Vorahnung zukünftiger Zeiten.

Dick Marty, ehemaliges Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte, hat in einem Interview mit dem Zürcher «TagesAnzeiger» aus Anlass seines Rücktritts als Ständerat folgendes gesagt: » Man hat immer wieder versucht, die Folter zu enttabuisieren. Als etwa 1978 die Roten Brigaden Aldo Moro entführten, kam die Debatte (um den Einsatz der Folter.Red) auch in Italien sofort auf. Es waren aber nicht Menschenrechtler oder Juristen, die am stärksten dagegen argumentierten, sondern der Carabinieri-General, Carlo Alberto Dalla Chiesa, Italiens oberster Terrorfahnder. Er sagte damals einen phantastischen Satz: ‹Italien wird den Tod von Aldo Moro überleben, aber Italien würde nie die Wiedereinführung der Folter überleben.’»

Was meinte er damit? Selbst der mit nichts zu entschuldigende Mord an Aldo Moro rechtfertigt keinen Einsatz von menschenrechtsverletzenden Methoden. Der Staat darf im Kampf gegen Verbrechen unter keinen Umständen zu Methoden greifen, die ebenso verwerflich sind, ebenso kriminell (oder wie immer man das nennen will), wenn er seine Legitimität des Eingreifens und Bestrafens aufrechterhalten will. Selbst die Tötung Bin Ladens durch den Einsatz einer Sondertruppe anstelle einer Aburteilung durch ein zuständiges Gericht ist aus dieser Sicht nicht legitim und wurde denn auch – zu Recht – in weiten Kreisen kritisiert.

Das «Recht des Stärkeren» wieder im Anzug

Im Streit zwischen Deutschland und der Schweiz geht es glücklicherweise nicht um Menschenleben. Aber es geht um Recht und Unrecht. Und wenn Deutschland in der Bekämpfung von Unrecht selber Unrecht einsetzt, ist das klar wider jede Rechtsstaatlichkeit. Und, auch das muss gesagt sein, wer den Rechtsstaat aushebelt, begibt sich bewusst in eine andere «Kultur»: in jene des «Rechts des Stärkeren». Auf Europa bezogen hiesse das: ein Rückschritt in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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7 Meinungen

  • am 1.04.2012 um 15:50 Uhr
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    Nana, mal der Reihe nach: Der Ankauf der CS-CD liegt 2 Jahre zurück. Warum kommt das jetzt erst aufs Tapet, ausgerechnet einen Tag nachdem klar war, die Steuerverhandlungen mit Deutschland könnten scheitern? Zwei Jahre hatte man Zeit dazu, wenn doch die Anschuldigungen angeblich so konkret sind.

    Zweitens: Es handelt sich um einen «Verdacht", dass deutsche Beamte «konkrete Aufträge zum Ausspionieren» erteilt hätten. Ein «Verdacht» ist etwas dürftig für so viel von beiden Seiten politisch aufgeladenen Wirbel. Weitere Informationen dazu gibt es nicht, ausser ein paar anonyme Aussagen von – interessierter – CS-Seite, und das in einem laufenden Verfahren.

    Drittens: Nachdem das Schweizer Parlament die widerrechtliche Auslieferung tausender vertraulicher Kundendaten nachträglich als rechtens erklärt hat, ist die Welt eine andere. Man kann nicht einfach herumfuhrwerken wie zu vor und so tun, als wäre nichts passiert. Jedenfalls sollte man mit grossen Sprüchen – ich meine die öffentlichen Emporungsrituale in der Schweiz – etwas vorsichtiger sein, will man sich nicht lächerlich machen.

    Viertens: Die Vorgänge in den USA legten ein ganzes System von Schweizer Banken offen, auf fremdem Territorium gewerbsmässig mit kriminellen Methoden Schwarzgeld in Milliardenhöhe aktiv zu akquirieren – was übrigens selbst in der Schweiz ein Straftatbestand wäre. Die UBS musste – neben einer Strafe von über 700 Mio Dollar – eine Erklärung unterschrieben, dass sie in schwerwiegenden Fällen kriminell gehandelt hat. Die CS, die Bank Wegelin, die Bank Bär usw. sehen sich mit Vorwürfen ähnlichen Kalibers konfrontiert. Jetzt auf die reine Ahnungslosigkeit bei einschlägigen Aktivitäten in andern Ländern – zum Beispiel Deutschland – zu pochen, würde vor jedem Gericht äusserst schwer fallen – ausser in der Schweiz.

    Sechstens: Die NZZ wirft Deutschland in einem redaktionellen Kommentar vom Samstag «totalitäre Gleichmacherei» vor, weil deutsche Politiker die Frechheit besessen hatten, darauf hinzuweisen, es sei ungerecht, wenn der Staat Steuerbetrüger explizit schütze. Die (deutschen) Bürger verstünden es nicht mehr, wenn sie z.B. für Griechenland mit Milliarden grade stehen müssten, während zwischen 20 und 30 Milliarden griechisches Schwarzgeld auf Schweizer Konten ruht, ohne dass die Schweiz erkennbar etwas dagegen unternimmt und nur immer auf vage Verhandlungen vertröstet, die man führe.

    NZZ-Redaktor Beat Gygi trompetet :» Deutschland ist ein Scheinföderalismus", man habe dort ein anderes «Verständnis von Politik und Staat» – nur weil es in der zweiten Kammer, dem deutschen Bundesrat, womöglich keine Mehrheit für das Steuerabkommen gibt. Für Gygi reicht das schon, eine Demokratie als habbatzig zu diffamieren. Man kennt das: Den Amerikanern warf man unlängst vor, ein verluderter Rechtsstaat zu sein und der im Ausstand schwebende NZZ-Präsident Konrad Hummler nannte Deutschland öffentlich «einen Unrechtsstaat". Wer so laut herumtrompetet, muss sich nicht wundern, wenn entsprechendes Echo zurückschmettert.

    Ich sage nicht, die deutsche Positon sei lupenrein, aber von der schweizerischen behaupte ich das erst recht nicht. Journalisten sollten sich nicht von dieser Empörungshysterie instrumentalisieren lassen, sondern genau beobachten, was da geschieht, nicht nur bei den andern, sondern vor allem bei sich, im Bankenstaat.

  • am 1.04.2012 um 16:50 Uhr
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    Ich denke Herr David befürwortet die Datenklauerei der Deutschen in der Schweiz, könnte es sein dass Sie selber ein Deutscher sind?
    Ich meine es kommt doch nicht darauf an wieviel Zeit vergangen ist seit diese Daten geklaut und die CD’s verkauft worden sind und dagegen sollte man sich auch wehren.

  • am 1.04.2012 um 18:43 Uhr
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    @) Hans Koller: Meines Wissen ist es noch kein Verbrechen, Deutscher zu sein. Aber keine Angst: Ich bin reinrassiger Schweizer (seit 1512…). Auch wenn es erstaunt: Man darf sogar als Schweizer beim angesprochenen Thema anderer Meinung sein und man darf dies sogar begründen, ohne dass die Sittenpolizei kommt.

  • am 1.04.2012 um 20:42 Uhr
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    Okey Herr David, sicher dürfen Sie anderer Meinung sein es ist jedem erlaubt.
    Mich hat es nur gewundert dass Sie so für die Deutschen geschrieben haben, wenn ich denke wie dieser Herr Steinbrück uns die Kavallerie auf den Hals hetzen wollte und es auch jetzt wieder tun will weil wir nicht so gespurt haben wie er wollte. Jetzt, leider nach über 2 Jahren regt sich unsere Behörde und ich denke das ist schon in Ordnung was sie vorhaben, klar ist es komisch, dass es gerade geschieht weil die sozialregierten Bundesländer gegen dieses Abkommen sind.

  • am 1.04.2012 um 21:59 Uhr
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    @) Hans Koller, die Schweizer sollen es sich nicht so einfach machen: In wessen Interesse ist denn das, was hier abbläuft? Wirklich im Interesse des Landes, oder einfach einer Branche, nämlich der Finanzindustrie, die ihre Interessen mit den Interessen der Schweiz gleich setzt. Das ist aber nicht dasselbe. Die Schweiz lässt sich missbrauchen, was letztlich zu ihrem Schaden sein wird. Es geht um hunderte von Milliarden CHF Schwarzgeld auf Schweizer Konten. Das kann ganze Staaten ruinieren. Die politische Schweiz hat die Kontrolle über dieses gigantische «Spiel» verloren.

  • am 2.04.2012 um 00:32 Uhr
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    Fred David, und wer ist für diese Missständen verantwortlich ich denke das waren unsere Bundesräte, Merz und Schlumpf. Mit denen hat das ganze Finanzdesaster angefangen und uns verkauft. Klar haben die beiden Grossbanken die grösste Schuld daran, dass es soweit gekommen ist. Aber ich denke man sollte jetzt noch retten was zu retten ist und uns dagegen wehren weiter uns unter Druck setzen zu lassen. Ich meine wir könne auch ohne dieses Abkommen mit Deutschland weiter leben. Im übrigen gibt es für unsere Wirtschaft nicht nur die EU uns steht die ganze Welt offen,

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