Kommentar

Der Spieler: Edelsteine, nicht nur für Hochbegabte

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  »Splendor« erhält den MinD-Spielepreis. Auf den ersten Blick überrascht die Wahl. Sie entspricht aber einer gewissen Logik.

Kaum haben die einschlägigen Medien den Spielejahrgang 2015 bilanziert, kündigt die deutsche Hochbegabtenorganisation Mensa die beiden Preisträger für das neue Jahr an. MinD-Gewinner in der Kategorie für kürzere Titel, deren Partien bis zu einer Stunde dauern, wurde das Taktikspiel »Splendor«, während das abstrakte Zweierspiel »Barragoon« das Rennen in der Kategorie komplexere Spiele machte.

Der Entscheid der Mensamitglieder zugunsten von »Splendor« kommt auf den ersten Blick überraschend. Vielleicht ist es nur ein Vorurteil, aber man würde doch eher erwarten, dass die Vorliebe der Blitzgescheiten eher den abstrakten Strategie- und Taktikspielen gilt. Acht mal acht quadratische Felder etwa, die schon von weitem signalisieren, dass hier Denken und Analysieren vor Spass und Unterhaltung kommen.

Nichts »riecht« nach Denken

Bei »Splendor«, das es 2014 schon auf die Nominierungsliste zum »Spiel des Jahres« geschafft hat, ist das nicht der Fall. Kein leerer Spielplan mit waagrechten und senkrechten Linien, keine Spielfiguren, die gegeneinander in die Schlacht ziehen. Dafür Karten mit farbenfrohen Illustrationen und Spielchips von bester Pokerqualität, die den Zocker in jedem wecken, der sie in die Hand nimmt. Dazu die Verbindung mit einem Thema, das ebenfalls nicht nach Denken »riecht« – Diamantenhandel in der Zeit der Renaissance.

Edelsteinchips in fünf verschiedenen Farben, ein Stapel mit Jokerchips, zwölf Karten in drei Schwierigkeitsstufen sowie ein paar Kärtchen, auf denen Adlige abgebildet sind, bilden die Tischauslage. Sie präsentiert sich in jeder Runde neu, was heisst, dass es in »Splendor« keine allseits bekannte Eröffnungszüge gibt. Wer an der Reihe ist, nimmt entweder Chips oder kauft so genannte Entwicklungskarten. In der Spielanleitung ist genau beschrieben, wie viele Chips man von welcher Sorte nehmen und wie viele man maximal besitzen darf. Karten kauft man mit Chips, wobei die Anzahl, die man jeweils hinlegen muss, je nach Schwierigkeitsstufe und Zahl der Prestigepunkte, die man dafür bekommt, unterschiedlich hoch ist. In »Splendor«werden also primär Chips gegen Karten getauscht mit dem Ziel, möglichst gute Kartensets zusammenzustellen. Dabei muss ich als Spieler zwei Perspektiven vor Augen halten: Die taktisch-kurzfristige ist auf das Sammeln von Boni ausgerichtet. Diese kann ich anstelle von Chips als Zahlungsmittel verwenden. Boni verschaffen mir auch den Besuch von Adligen, was meinem Ego (sprich: Prestigepunkte-Konto) guttut. Das Spielziel zwingt mich jedoch auch, längerfristig zu denken und beim Kartenkauf darauf zu achten, an Karten zu kommen, die viele Prestigepunkte versprechen. Denn gewonnen hat, wer zuerst 15 Prestigepunkte in Form von Karten und Adligen gesammelt hat.

Schwupps, und schon ist die Karte weg

Anfänger neigen dazu, »Splendor« für sich zu spielen. Sie werden aber schnell bemerken, dass es sich lohnt, die Mitspielenden im Auge zu behalten. Denn nur so ist es möglich, deren Pläne zu durchkreuzen. Dazu haben die Macher von »Splendor« die Möglichkeit vorgesehen, Karten aus der Auslage oder vom Stapel für sich zu reservieren. Schwupps, und schon hat man der Konkurrenz eine Karte vor der Nase weggeschnappt und sich erst noch einen Joker gesichert!

In solchen Momenten kommen einige Emotionen hoch, doch ingesamt bietet »Splendor« stimmungsmässig nicht sehr viel. Trotzdem vermag es überall, wo es auf den Tisch kommt, Spielerinnen und Spieler zu begeistern, gerade auch solche, die Titel suchen, die für zwei Personen geeignet sind. Warum dies? »Splendor« ist trotz des farbenfrohen und üppigen Materials nicht überladen, sondern überzeugt mit geradlinigem Aufbau und schnörkellosem Ablauf. Diese Einfachheit ist auch ein Grund dafür, dass sich Neulinge in »Splendor« schnell zurecht finden und rasch merken, worauf sie achten müssen, wenn sie am Zuge sind. Wenigspieler schätzen an »Splendor« zudem, dass die taktische Herausforderung so bemessen ist, dass sie sich nicht überfordert fühlen. Ihnen kommt zudem entgegen, dass die Spieldauer von knapp einer Viertelstunde problemlos durchzuhalten ist.

Auch für Spielerfahrene

Gleichzeitig aber kommt »Splendor« auch bei erfahreneren Spielerinnen und Spielern an – als schnelles fetziges Taktikspiel: Die Suche nach der optimalen Kombination der verschiedenen Tausch- und Sammelelemente, wie »Splendor« sie bietet, vermag offenbar die unterschiedlichsten Typen von Spielern anszuprechen – eine tolle Leistung.

»Splendor« war 2014 das erste Spiel aus dem 2013 gegründeten Verlag Space Cowboys. Der Name ist zwar englisch, aber seine Väter sind Franzosen. Marc Nunes, Philippe Mouret und Croc hatten zuvor schon mit Asmodée den heute führenden französischen Spieleverlag initiiert. Mit ihren Ideen und Produkten sorgten und sorgen die Drei für frischen Wind nicht nur in der französischen, sondern in der gesamten europäischen Spielentwicklung. Mit an Bord bei Space Cowboys ist auch der Westschweizer Autor Sébastien Pauchon, der mit Gameworks über eigene Verlagserfahrung verfügt. Beim Start des Spinoff-Unternehmens hatten die Cowboys hohe Ansprüche formuliert, was entsprechend hohe Erwartungen weckte. Bis jetzt sind diese vollumfänglich eingehalten worden, zuerst mit »Splendor«, dann mit »Elysium« und »Black Fleet« und aktuell mit »T.I.M.E. Stories«, einem aussergewöhnlichen Brettspiel voller Geschichten.

Splendor: Taktisches Aufbau- und Sammelspiel von Marc André für 2 bis 4 Spieler und Spielerinnen ab 10 Jahren. Spieldauer ca. 15 Minuten. Verlag Space Cowboys / Asmodée. ca. Fr. 40.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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