Kommentar

Der Spieler: Die Sprache als Spielmaterial

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  »Krazy Wordz« legt das unbegrenzte spielerische Potenzial der Sprache offen. Es macht mich zum Wortjongleur und Sprachentwickler.

Wortspiele gibt es in rauen Mengen auf dem Markt. Wenn die Jury »Spiel des Jahres« einen Titel aus dieser Gattung auf ihre Empfehlungsliste setzt, erregt dies Aufmerksamkeit. Weshalb? Hat dieses Spiel etwas, das andere nicht haben? Diese Frage ist bei »Krazy Wordz« sofort beantwortet: Selten nämlich macht ein Wort- und Sprachspiel derart Spass.

»Krazy Wordz« bietet einen einfachen und schnellen Einstieg. Auch Leute, die wenig spielen, sind ab dem ersten Durchgang dabei. Zu Beginn jeder Runde erhalten alle Teilnehmenden verdeckt je eine Aufgabekarte. Mit neun Buchstaben (sechs Konsonanten und drei Vokalen) bildet nun jeder Spieler auf seinem Tableau ein Wort, das es in der deutschen Sprache nicht wirklich gibt. Es sollte aber zur eigenen Aufgabe möglichst gut passen. Leichter gesagt, als getan.

150 Aufgaben zu lösen

Ich habe beispielsweise die neun Buchstaben J, J, N, R, P, G, E, I, O vor mir liegen. Damit muss ich nun ein Wort bilden, das zur Aufabe »Hauptstadt des Pluto« passt. Ich überlege und entscheide mich schliesslich für GRIPO. Hätte ich die Aufgabe gefasst, ein Wort zu »Macht Krach« zu finden, wäre ich vermutlich auf OPER gekommen. Dieser Begriff wäre nach den Regeln jedoch nicht erlaubt gewesen, weil es ihn in der deutschen Sprache gibt.

Über 150 Aufgabenkarten gibt es im Spiel, genügend Herausforderungen also für Phantasie und graue Hirnzellen. »Hat Knöpfe«, »Figur aus Herr der Ringe«, »Hat gewaltigen Hunger«, »Landwirtschaftliches Gerät«, »Eis-Sorte« oder »Hat null Bock« sind nur ein paar Beispiele, die aus der Familien-Edition stammen. Anspruchsvoller sind die Aufgaben aus der Ausgabe für Erwachsene. »Davor hat mich meine Oma immer gewarnt«, lautet eine, »Geschieht im Eifer des Gefechts« eine andere. Wenn es dann noch – etwa mit der Buchstabenkombination Y, S, C, P, K, V, A, I, U – ein »Anderes Wort für ›Brustwarze‹«, für »Massagestab« oder »Zungenkuss« zu finden gilt, versteht man gleich, weshalb der Verlag diese Edition mit dem warnenden Vermerk »Nicht 100% jugendfrei« versehen hat.

Zurück zum Spielverlauf: Haben alle Teilnehmenden ihre Aufgaben gelöst, beginnt die Raterunde. Wir versuchen herauszufinden, welcher Begriff zu welcher Aufgabe passt. Dazu benutzen wir Zahlen- und Zuordnungskarten. Passt GUX zu »Fernsehzeitung«, »Hart wie ein Diamant« oder »Zuviel Alkohol macht …«? Wortschöpfungen, die von den Mitspielenden ihren Urhebern richtig zugeordnet werden, bringen Punkte ein, die in der Schlussabrechnung über den Sieg entscheiden.

Spass steht im Vordergrund

Doch in »Krazy Wordz« geht es gar nicht um Sieg oder Niederlage. Oder zumindest achtet man nicht dauernd auf sein Punktekonto. Im Vordergrund stehen Spass, Vergnügen und die Lust, mit Buchstaben und Worten zu spielen. Nicht Taktik ist gefragt, sondern Phantasie. Und das gleich in doppeltem Sinne: In der ersten Spielphase konzentriert man sich total auf seine Aufgabe und die neun Buchstaben, die man zu ihrer Lösung zur Verfügung hat. Man stellt sich vor, wie mögliche Kombinationen klingen (sprechen darf ich nicht, weil ich den anderen sonst Hinweise geben könnte). Im Geist stellt man die Buchstaben x-mal um, bis man einen Begriff geformt hat, welchen man den Mitspielenden präsentiert und in die Wertung schickt. In der zweiten Phase vergleicht man alle Neuschöpfungen miteinander, grübelt über ihre Bedeutung, man sucht Zuordnungen und lässt dabei seine Phantasie walten, nicht mehr schweigend, sondern gleich in Diskussion mit allen Mitspielenden – und lachend.

Die vielen Lacher am Tisch reissen auch Leute mit, die sonst eher ernsthaft zur Sache gehen. Genau das macht »Krazy Wordz« einzigartig. Es bietet Spass und beste Unterhaltung, und das auf einem recht anspruchsvollen Niveau. Je mehr man Sprache und Sprachspielereien mag, desto intensiver und schöner ist das Spielerlebnis, das »Krazy Wordz« einem bietet. Weil es im Unterschied zu anderen Wortspielen keine Zeitlimits kennt, steht man in »Krazy Wordz« nie unter Druck, was Genussspieler sehr zu schätzen wissen (nicht zu verwechseln mit den freudlosen Grüblern, die zu keinem Ende kommen und am Schluss allen den Spass verderben).

Mir und meiner Phantasie überlassen

Die Mutter aller Sprachspiele ist »Scrabble«, von dem seit der Mitte des 20. Jahrhunderts mehr als 100 Millionen Exemplare verkauft worden sind. »Krazy Wordz« hat jedoch mit dem weltweit bekannten Klassiker nicht mehr viel gemeinsam. Höchstens vielleicht, dass in beiden mit Wörtern und Begriffen gespielt wird. Der grosse Unterschied liegt darin, dass dem lust- und phantasievollen »Krazy Wordz« die Rigididät des Duden-gesteuerten »Scrabble« völlig abgeht. Kategorien wie »richtig« oder »falsch« gibt es in »Krazy Wordz« nicht. Entscheidend ist, dass meine Wortschöpfungen die Mitspielenden diskret auf die richtige Spur führen, nämlich zu mir als Urheber. Wie ich das mache, ist mir und meiner Phantasie überlassen; einzig die Bedingung, dass das betreffende Wort in der deutschen Sprache nicht existiert, muss erfüllt sein.

Mit der Emanzipation von »Scrabble« schaffen Spiele wie »Krazy Wordz« bei den Wortspielen einen wichtigen Paradigmenwechsel. Sie legen das unerschöpfliche spielerische Potenzial, das in jeder Sprache steckt, frei und laden mich ein, es zu nutzen. Ich nehme ein paar Vokale und Konsonanten, jongliere mit ihnen und bilde Wörter, die bis anhin nicht existiert haben. Und schon arbeite ich an der Weiterentwicklung meiner Sprache. Das hatte ich vor der ersten Runde »Krazy Wordz« nicht erwartet.

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Krazy Wordz: Wort- und Sprachspiel von Dirk Bauma, Thomas Odenhoven und Matthias Schmitt für drei bis 7 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren (Family Edition) bzw. ab 16 Jahren (nicht 100% jugendfrei). Spieldauer: 45 Minuten. Verlag fishtank/Ravensburger (Vertrieb Schweiz: Carlit + Ravensburger, Würenlos), ca. Fr. 21.50


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt.

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