Kommentar

Der Spieler: Die Macht des Hafenmeisters

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Auktionsspiele gehören zu den spannendsten und interessantesten Spielen überhaupt. «Manila» ist ein wunderbares Beispiel.

Unter den Aberhunderten von Neuerscheinungen ist mir an den Internationalen Spieltagen in Essen «Manila» sofort ins Auge gestochen. Es war eine Art Wiederbegegnung mit einem alten Bekannten. Das Auktions- und Zockerspiel war 2005 erstmals auf den Markt gekommen und hatte gleich einen Platz unter meinen Favoriten erobert. In den vergangenen Jahren kam es nicht mehr so oft zum Zug, andere Neuheiten drängten sich vor und warteten darauf, gespielt zu werden. Bei ersten Spielen jedoch am Stand des Zoch-Verlags stellte sich das alte Gefühl gleich wieder ein – ein Superspiel, das einen von A – Z fesselt. Gut, ist es wieder da.

Drei Frachtkähne sind pro Spielrunde unterwegs vom asiatischen Festland Richtung Philippinen. Sie sind beladen mit Waren, die im Hafen von Manila zu möglichst hohen Preisen verkauft werden sollen. Doch ob die Schiffe ihr Ziel überhaupt erreichen, ist nicht sicher. Denn unterwegs treiben Piraten ihr Unwesen. Zudem fahren auf den Frachtkähnen Komplizen mit, von denen man nicht weiss, ob sie mit den Piraten unter einer Decke stecken. Schliesslich wird auf den Schwarzmärkten sogar auf den Hafeneinlauf der einzelnen Schiffe gewettet, was wiederum Mauscheleien Tür und Tor öffnet.

Turbulentes Auktions- und Zockerspiel

Der leider allzu früh verstorbene Münchner Autor Franz-Benno Delonge hat diese Vorlage wunderbar in das turbulente Auktions- und Zockerspiel «Manila» umgesetzt. Der Zockeranteil ist zwar sehr gross, aber ich messe dem Auktionselement eine noch höhere Bedeutung bei. Alle Macht liegt nämlich beim Hafenmeister: Er kann als einziger Spieler pro Runde Anteilscheine kaufen. Er bestimmt, welche Waren für die einzelnen Fahrten aufgeladen werden und damit auch, bei welchen Waren (sofern sie das Ziel erreichen) der Wert steigt. Er ist weiter für die Startaufstellung der drei Frachtkähne verantwortlich, die pro Runde ins Rennen steigen. Und schliesslich ist er es, der die Würfel wirft, die sagen, wie weit ein Schiff ziehen darf. Die höchst einflussreiche Rolle des Hafenmeisters wird jedoch weder der Reihe nach an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vergeben, noch nach dem Zufallsprinzip (Würfel) den Mitspielenden zugeteilt, sondern sie wird versteigert.

Auktionen sind nicht jedermanns Sache. Ich kenne Spielerinnen und Spieler, die Versteigerungen nicht mögen. Ich vermute, dass einer der Gründe für eine solche Ablehnung darin zu suchen ist, dass es für das Verhalten bei Auktionen keine Regeln gibt, an die ich mich halten kann. Ich selber muss entscheiden, wie hoch mein Einsatz ist und wann ich aussteigen will. Viele Menschen wollen lieber, dass eine Regel ihnen genau sagt, dass sie zwei Felder ziehen müssen, wenn sie eine Zwei gewürfelt haben. Sie fühlen sich schon überfordert, wenn sie gewürfelte Punkte auf mehrere Figuren frei verteilen können.

Wer bei Auktionen Erfolg haben will, muss entscheidungsfreudig sein. Wer zögert, kommt nie zu einem Schnäppchen oder zu einem Stück, das er unbedingt haben wollte. Immer ist noch jemand da, der schneller war. Richtig agieren kann bei Versteigerungen nur, wer in der Lage ist, sowohl seine eigenen Möglichkeiten und Ressourcen als auch jene der Konkurrenz rasch zu analysieren und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Und zu guter Letzt spielen bei Auktionen immer auch Psychologie und Menschenkenntnis eine entscheidende Rolle: Was geht bei meinen Konkurrentinnen und Konkurrenten vor? Bluffen sie? Gehen sie aufs Ganze? Wie weit kann ich sie mit meinen Einsätzen reizen, ohne dass ich in ihre Falle tappe mit der Konsequenz, dass ich zu überhöhten Preisen kaufen muss?

Schule fürs Leben

In diesem Sinne ist jedes Versteigerungsspiel auch eine gute Schule fürs Leben. In unseren Breitengraden brauchen wir zwar keine Hafenmeister, um gut vorwärts zu kommen. Aber ein bisschen Einfühlungsvermögen (oder soziale Kompetenz) hat noch nie jemandem geschadet. Wenn wir das mit einem Spiel wie «Manila» üben können, umso besser: Denn es ist mit einer ganzen Reihe von Zocker-Elementen bestückt, die für dauerndes Mitfiebern sorgen. Die einzelnen Seefahrten sind relativ kurz, sodass der Spannungsbogen von der Platzierung der Komplizen bis zur Wertung erhalten bleibt. So kann Langeweile gar nicht aufkommen.

Der Glücksanteil in «Manila» wäre zu hoch, wurde mehrmals kritisiert, als das Spiel 2005 auf den Markt kam. Ich verstehe diese Kritik nicht. Klar, der Glücksanteil ist sehr hoch. Bei Würfelspielen ist das nun mal so. Wer das nicht versteht, hat wohl noch nicht gemerkt, dass es unterschiedliche Spielgattungen gibt, welche die verschiedenen Ansprüche, die an ein Spiel gestellt werden, auf ihre Art bedienen. Wer ein Glücksspiel sucht, wird sicher nicht zu Schach greifen. Entscheidend für mich ist, dass ein Spiel ehrlich ist: Wenn ein Spiel vorgibt, ein Taktikspiel zu sein, aber diesen Anspruch nicht einlöst, weil die Reihenfolge der ins Spiel kommenden Karten dem Zufall überlassen wird, gehört das zu Recht kritisiert. Und nicht, weil ein Würfelspiel einen zu hohen Glücksanteil aufweise … «Manila» macht in jedem Fall niemandem etwas vor.

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Manila: Auktions- und Zockerspiel von Franz-Benno Delonge für 3 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Spieldauer: ca. 60 Minuten. Zoch-Spiele (Vertrieb Schweiz: Simba/Dickie, Schlieren), ca. Fr. 37.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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