aa_Spieler_Synes-28

. © cc

Der Spieler: Bohnen und Pizza auf dem Spielbrett

Synes Ernst. Der Spieler /  Trotz der Mahnung »Mit Essen spielt man nicht!« spielen wir immer wieder mit Nahrungsmitteln. Aber nicht mit echten.

Red. Unser «Spieler»-Autor Synes Ernst ist verunfallt und kann für einige Zeit keine neuen Spiele-Kritiken verfassen. Deshalb greifen wir ins Archiv und veröffentlichen heute einen älteren Beitrag vom 13.02.2016.

»Mit Essen spielt man nicht!« Mit den gleichen Worten, mit denen uns die Eltern einst verboten haben, aus weichem Brot Kügelchen zu formen und mit diesen Tischfussball zu spielen, wollen uns die Jungsozialisten vor der Abstimmung vom 28. Februar zu einem Ja zu ihrer Volksinitiative »Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln« bewegen. Der Rückgriff auf den elterlichen Moral- und Warnfinger ist geschickt. Denn die Botschaft, wonach man mit Lebensmitteln nicht spielen dürfe, sitzt tief. Wer einen Apfel, der auf dem Trottoir liegt, mit dem Fuss wegkickt, tut es nur mit schlechtem Gewissen.

»Mit Essen spielt man nicht!« Wer sich im aktuellen Angebot ein wenig umschaut, stellt jedoch schnell fest, dass dieses Verbot für die Spielverlage offensichtlich nicht gilt. Klar, Lebensmittel als Spielmaterial sind von Gesetzes wegen verboten. Aber was hindert einen Spieleproduzenten daran, ein rasches Sortier- und Ablegespiel in das Thema »Pizzeria« einzukleiden und unter dem gängigen Titel »Mamma Mia!« (Abacus) auf den Markt zu bringen? Nichts, im Gegenteil. Name und Verpackung wecken Sehnsüchte und Erinnerungen an Ferien in Italien, laden Spielerinnen und Spieler ein, in eine »fremde« Welt einzutauchen, die Spass, Fröhlichkeit und lustige Gesellschaft verheisst. Wäre »Mamma Mia!« als abstraktes Kartenspiel erschienen, was vom Mechanismus her durchaus möglich gewesen wäre, es hätte niemals den Erfolg gehabt wie in dieser emotional aufgeladenen Form.

Eine ganze Bohnenfamilie

Wie bei »Mamma Mia!« passen auch bei »Bohnanza« (Amigo) Thema und Spielinhalt exakt zusammen. Wiederum geht es ums Sortieren und Ablegen von Karten, wiederum hätte man basierend auf dem Grundprinzip ein abstraktes Spiel machen können. Hätte es »Bohnanza« so zum Kultspiel geschafft? Nie und nimmer. Dazu brauchte es die Idee, eine eigentliche Bohnenfamilie zu kreieren und diese laufend zu vergrössern und zu erweitern – eine richtige Patchworkfamilie, zu der neben vielen anderen auch »Al Cabohne« und »Bohnaparte« gehören. »Bohn to be wild!« lautete 2012 der Titel der Jubiläumsausgabe zum 15. Geburtstag, eine schöne Sprachspielerei, die dem Witz von »Bohnanza« entspricht, der auch in der comic-artigen Gestaltung des Kartenspiels zum Ausdruck kommt. Ein kleines Gesamtkunstwerk.

Bleiben wir bei den Bohnen. Sie haben es wohl als einziges Nahrungsmittel in eine Gattungsbezeichung geschafft: Als »Bohnenspiele« sind im deutschen Sprachbereich verschiedene Taktikspiele bekannt, die zur Gattung der »Mancala-« oder Kahala-Spiele gehören. »Peanut-Games« heissen sie in den USA, was wie bei den Bohnenspielen auf das Spielmaterial verweist. Beim ursprünglichen Spiel war hingegen das Spielgeschehen namenbildend: »Mancala« ist vom arabischen Wort »naqala« hergeleitet, was »bewegen« und »wegnehmen« bedeutet. Damit ist beschrieben, was gespielt wird: »Perlenartige Steine werden in Mulden gelegt und von dort reihum weiterbefördert« (Helmut Glonnegger). Vom Grundspiel sind mehr als 200 Versionen bekannt, was zeigt, wie verbreitet und beliebt zugleich diese Spielidee ist.

Gemüse und Buchstaben

Bohnen gehören auch zu den Zutaten, mit denen Kinder ab sechs Jahren in »Chef Alfredo« (Queen Games) Suppen kochen müssen. In gleich vier Töpfen brodelt es auf dem Herd, und weil es sich hier um ein Memory-Spiel handelt, muss man sich genau merken, in welchen man ausser den Bohnen Zwiebeln, Tomaten und Karotten schmeissen soll. Gekocht wird auch hier, aber nicht mit Gemüse, sondern mit Buchstaben: Im Kinderspiel »Buchstabensuppe« (Schmidt) greift man mit einem Löffel in einen Teller. Mit den herausgefischten Buchstaben müssen dann Wörter gebildet werden, eine ganz witzige Kombination von Geschicklichkeits- und Sprachspiel.

Nochmals Bohnen, diesmal aber Kaffeebohnen. Das Würfelspiel »VivaJava« (Pegasus) thematisiert, wie sich das Kaffeetrinken in der Nachkriegszeit zum Kaffeegenuss entwickelt hat. In der Rolle als Mitarbeiter der VivaJava Kaffee Co. KG versuchen die Spielerinnen und Spieler, die Hausmarke »Unsere Beste Bohne« zum Erfolgsgetränk zu machen. Das Spiel weckt mit seiner zeitgerechten 1950er-Jahr-Aufmachung zwar die Aufmerksamkeit des Publikums, vermag aber die spielerischen Erwartungen nicht zu erfüllen. Ein Trost: Wer »VivaJava« gekauft hat, ist jetzt glücklicher Besitzer eines Sets aus Würfeln mit Bohnenmotiven, das es sonst nirgends gibt.

Kleine Knollen, beste Ernte

Wechseln wir zu den Kartoffeln. Als Superman fliegt uns der »Potato Man« auf dem Cover des gleichnamigen Kartenspiels (Zoch) entgegen. In der Verlagswerbung wird es als »festkochendes Stichspiel« angepriesen. Wer meint, mit den mächtigsten Kartoffeln erziele man auch die grössten Erfolge, wird allerdings eines Besseren belehrt: Es sind die kleinen Knollen, welche die beste Ernte bringen. Thematisiert wird dies auch im vergriffenen »Dicke Kartoffeln« (Abacus), wo die Spielerinnen und Spieler einen Bauernhof bewirtschaften. Dabei steht man dauernd vor dem Dilemma zwischen Gewinnoptimierung auf der einen und der Umweltbelastung auf der anderen Seite. Ein Spiel um eine ökologisch nachhaltige Nahrungsmittelproduktion, das erfreulicherweise ohne Moralfinger auskommt.

»Dicke Kartoffeln« ist längst nicht das einzige Spiel, bei dem wir als Bäuerin oder Bauer am Tisch sitzen. Rund zehn Jahre vorher (1983) war das »Buurejahr« als erstes Produkt des Schweizer Spieleverlags Murmel erschienen. Überall, wo hierzulande ein wenig alternativ gedacht, gelacht, gelebt und gekocht wurde, gehörte »Buurejahr« als eigentliches Kultspiel dazu. Weniger politisch, dafür spielerisch wesentlich gehaltvoller sind die zwei aktuellen Agrar-Titel »Eine Frage der Ähre« (Pegasus), ein anspruchsvolles Legespiel, und »Agricola« (Lookout Games), bei dem die Aufgabe darin besteht, eine stetig wachsende Familie mit den Erträgen aus Ackerbau und Viehzucht zu versorgen.

Wo Früchte und Gemüse in Spielen vorkommen, ist die Karotte fast immer dabei. In »Hase und Igel« (Ravensburger, Abacus) geht ohne die Karotten überhaupt nichts. Das Innovative am ersten Preisträger von »Spiel des Jahres« (1979) war, dass es als Laufspiel ohne Würfel auskam. Autor David Parlett ersetzte diese durch Karotten: Je mehr ein Hase verschlingt, desto weiter darf er springen. Aber Vorsicht: Die zur Verfügung stehenden Ressourcen sind knapp, weshalb ein haushälterischer Umgang mit ihnen angesagt ist, auch mit den Salatköpfen, die in »Hase und Igel« ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Hasen und Karotten tauchen in einem weiteren Ravensburger-Spiel auf: In »Lotti Karotti« führen ein paar Hasen ein Wettrennen durch. Der Parcours, an dessen Ende der Sieger als Preis eine Karotte erhält, ist allerdings heimtückisch: Wer nur das Lieblingsgemüse der Hasen im Blick hat, verschwindet rasch in einem Erdloch und scheidet aus.

Wer Pilze mag, greife zu »Fungi« (Pegasus), einem taktischen Zweierspiel, bei dem zuerst verschiedene Pilzsorten gesammelt werden müssen. Anschliessend werden sie in Butter gedünstet und mit Cidre abgeschmeckt. Wer am meisten Genusspunkte vorweisen kann, hat gewonnen. So nebenbei erfährt man in diesem Spiel die lateinischen Namen einiger Pilze, womit aber nicht gesagt ist, dass es sich bei »Fungi« um ein Lernspiel handelt.

Spaghetti und Sushi auf dem Teller

Die meisten Menschen ziehen es aber vor, gleich an den Tisch zu sitzen und ein wunderbares Gericht serviert zu bekommen. Gesagt, getan, und schon steht ein Teller Spaghetti vor jedem von uns Spielerinnen und Spieler. »Avanti Spaghetti« (MB Spiele) hiess das heute leider vergriffene Aktions- und Geschicklichkeitsspiel, bei dem man wie in der Wirklichkeit mit einer Kunststoffgabel Spaghetti (Wollfäden) aufwickelte, um an die leckeren Zutaten zu gelangen. Das war eine tolle Spielidee, die uns seinerzeit viel Spass gemacht hat und ein Lieblingsspiel unserer Kinder war.

Die einen schwören auf Spaghetti, die anderen auf Sushi. Diese kommen im aktuellen Angebot gleich zweimal auf die Rechnung. Während es bei »Sushi Go!« (Zoch) darum geht, aus den einschlägigen Delikatessen einen punkteträchtigen Teller zusammenzustellen, versucht man in »Sushi Dice« (Sit Down/Asmodée) die aufgetischten Platten mit Hilfe von Würfeln möglichst rasch zu leeren.

Was wäre ein feines Essen ohne Glas Wein? Das gilt auch für das Spiel. Im Quizspiel »Welt der Weine« (Huch & Friends) können Weinkenner ihr Wissen unter Beweis stellen. Als Wirtschaftsspiel ist »Grand Cru« (Eggertspiele) konzipiert. In ihrem Rebberg agieren die Spielerinnen und Spieler als Winzer. Auf den Anbau folgen Lese und Verkauf, anschliessend geht es ans Weinfest. Dass der Weinbau ein hartes Geschäft ist, erfährt man, wenn es um die Rückzahlung der Kredite geht und sich herausstellt, ob sich der Jahrgang gelohnt hat oder nicht.

Zum Schluss noch der Salat, konkret »Kakerlakensalat« (Drei Magier). Kakerlaken und Essen – wie schrecklich! So schlimm ist es jedoch nicht. Das Spiel heisst nur so, weil es zu einer Reihe von Kartenspielen gehört, deren erster Titel »Kakerlakenpoker« lautet. Keine Angst vor Kakerlaken und sonstigem Ungeziefer also, sondern höchste Konzentration auf die verschiedenen Gemüse, die in der richtigen Reihenfolge abgelegt und entsprechend benannt werden müssen. Einige sind Tabugemüse, die man am besten vermeidet. Aber prompt verhaspelt man sich und macht statt Kakerlaken- einen Sprechsalat, zum Gespött aller Mitspielenden.

Nach so viel Essen tut ein bisschen Bewegung gut. Also greifen wir zu »Eiertanz« (Haba), das als Eierschachtel verpackt in den Regalen liegt. Sechs Eier aus Kunststoff, die echten Eiern täuschend ähnlich sind, bilden das Material für ein tolles Aktionsspiel, das nicht nur bei Kindern gut ankommt. Manchmal klemmt man das Ei unter sein Kinn, ein andermal lässt man es über die Tischplatte hüpfen. Eltern sollten nur aufpassen, dass Kinder das nicht mit echten Eiern spielen wollen …


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

Synes_Ernst 2

Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.