Kommentar

Sprachlust: Wo der Ton die falsche Musik macht

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  «Jetzt ist es OFfiziell: Nach INtensiven Verhandlungen haben sich BEIde Räte auf eine UMfassende Reform geeinigt.»

Und so ginge die Nachricht weiter: «Rentnerinnen UND Rentner sollen GEnerell bessergestellt werden.» Aber so haben Sie diese Meldung am Radio oder Fernsehen nicht hören können, freilich nur wegen des Inhalts nicht. Die falschen Betonungen indessen, um die es hier geht, sind alltäglich: Betont sollte eine andere Silbe sein, in manchen Fällen gar keine.
Meistens handelt es sich um Fremdwörter, deren normale Betonung auf der letzten Silbe liegt. Rutscht der Akzent auf die erste, so fällt das Wort besonders auf, und das könnte der Zweck der Übung sein. Nur: Betonungen sind ja sowieso zum Betonen da, und man kann sie im mündlichen Vortrag stärker oder schwächer gestalten, um dem Satz den gewünschten Nachdruck zu geben. Stattdessen den Ton auf eine andere Silbe zu verschieben, ist sprachwidrig, und durch die häufige Wiederholung des Manövers verpufft die Wirkung.
Das Wichtigste zuerst, aber …
Vielleicht ist es nur eine Mode, vielleicht aber auch die letzte Konsequenz eines anhaltenden Trends der Mediensprache: Das Wichtigste muss zuerst kommen. Längst vergangen sind die Zeiten, als eine Unfallmeldung so beginnen konnte: «Ein Auto war auf Landstrasse von A nach B unterwegs.» Heute beginnt die Meldung meistens mit den Unfallfolgen. Im Fach heisst dieser aufs Wesentliche zielende Anfang Lead; er ist heute allgemein üblich und erleichtert den Entscheid, ob man weiterlesen will.
So weit, so gut. Doch allmählich haben auch einzelne Sätze ihren Lead bekommen, und man liest etwa: «Vermutlich aus Übermut hat eine Gruppe … einen parkierten Fiat 500 quer zur Fahrbahn an den Strassenrand getragen.» Die Frage nach den Beweggründen mag das Wichtigste an diesem Vorgang sein, und der freie Satzbau im Deutschen erlaubt es, die Vermutung an die Spitze zu stellen. Man kann das freilich auch übertreiben: «Das Motto bis zur Wäsche ernst genommen hat nur die Bar der Politikwissenschaftler», war einst über einen Uniball unter dem Motto «Decadanse» zu lesen – ein dekadenter Tanz der Wörter.
«Beide» und «die beiden»
Vollends verfehlt wäre es, das Lead-Prinzip mithilfe der Betonung ins einzelne Wort zu verlagern. «Intensiv» auf der ersten Silbe zu betonen, geht nur an, wenn zum Beispiel die intensive Landwirtschaft der extensiven gegenübergestellt wird. Das Wort «inoffiziell» kann laut Duden am Anfang oder am Ende betont werden. Die Betonung «INoffiziell» hebt den Kontrast zu «offiziell» hervor, das aber auch in diesem Fall «offiZIELL» lauten muss. Sagt man, «Anfangs- UND Endbetonung» seien möglich, so zeigt die Betonung von «und» die Besonderheit, dass beides geht. In der fiktiven Meldung am Anfang wäre aber die Betonung «Rentnerinnen UND Rentner» nur dann gerechtfertigt, wenn man auch erwogen hätte, bloss die einen besserzustellen. Gelegentlich zu hören, aber geradezu irreführend ist das betonte «und» bei Zählungen, die nicht separat erhoben werden: «29,4 Prozent der Schweizer UND Schweizerinnen haben die SVP gewählt.»
In diesem Fall will der oder die Betonende wohl politisch korrekt ausdrücken, dass wirklich beide Geschlechter gemeint sind. Hingegen wird unterschlagen, dass es nicht ums ganze Stimmvolk geht, sondern nur um die tatsächlich Wählenden – und mit letzterem Wort wären die beiden Geschlechter automatisch gleichbehandelt. Warum steht hier «die beiden Geschlechter» und im Satz zuvor «beide Geschlechter»? Weil «beide» ohne Artikel die betonte Form ist: Man hätte ja auch nur ein einzelnes Geschlecht meinen können. Hingegen kann man nicht bloss eines gleichbehandeln – dazu braucht es mindestens zwei, also für zwei die unbetonte Form «die beiden». Und das müsste auch ganz oben stehen, wenn die beiden Räte ihre Differenzen bereinigt haben. Mit «beide» bedeutet der Satz, es sei innerhalb jedes einzelnen Rats eine Einigung zustandegekommen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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