Snowden_Interview

Edward Snowden während des Live-Interviews am 22. März 2015 © RTS

Das Interview mit Edward Snowden am welschen TV

Red. /  Die US-Massenüberwachung von BürgerInnen ohne Verdachtsmomente gehe weiter. Die Schweiz diene als Drehscheibe, erklärte Snowden.

Das Westschweizer Fernsehen RTS hat am Sonntag, 22. März 2015, im Rahmen der Sendung «Pardonnez-moi» ein Interview ausgestrahlt, das Darius Rochebin anlässlich des «Festival international du film et forum sur les droits humains» per Video mit dem Ex-Agenten der NSA geführt hatte.

Der ehemalige Agent der National Security Agency (NSA), der in Russland im Asyl lebt und als NSA-Agent auch in Genf stationiert war, gab Erinnerungen über die Rolle der schweizerischen Geheimdienste preis. Diese stünden in mehreren Bereichen unter Einfluss der USA. Infosperber veröffentlicht einen Auszug des Interviews.

Darius Rochebin: Sie sagen auch, dass die Schweiz eine Drehscheibe für die Massenüberwachung war. Ist das immer noch der Fall?
Edward Snowden: Das ist in der Tat so. Ich habe natürlich keine geheimen Informationen aus jüngster Zeit. Ich arbeite ja nicht mehr dort! Aber der Grund, der die Schweiz, speziell Genf, als Spionagehauptstadt so interessant macht, hat sich nicht verändert: Nach wie vor ist Genf der Sitz internationaler Organisationen (UNO, WTO, WHO, IKRK). Es gibt dort Vertretungen ausländischer Regierungen, Botschaften, diverse NGO’s…. All das in einer einzigen Stadt!
Dazu kommen Zürich als idealer Ort für Geldgeschäfte sowie Bern als Drehscheibe bilateraler Abkommen und des internationalen Austauschs.
Leider geht es jedoch nicht so sehr darum, ob die Schweiz strengere Gesetze oder mehr Kompetenzen zur Überwachung schaffen muss. Es geht darum, gegen unangemessenes Verhalten vorzugehen, wenn man Verdachtsgründe hat. Das würde bedeuten, dass man die Regeln anwendet, die schon bestehen. Spionage ist bereits jetzt in der Schweiz illegal. Es braucht also kein neues Gesetz. Es würde genügen, die Fälle, auf die man stösst, mit letzter Konsequenz und gemäss den Gesetzen zu untersuchen, ohne Rücksicht darauf, wer der Beschuldigte ist.
Hatten Sie, als Sie Agent in Genf waren, Angst vor der schweizerischen Gegenspionage oder fühlten Sie sich frei in Ihrem Handeln?
Wir hatten überhaupt keine Angst. Die schweizerischen Geheimdienste wurden nicht als echte Bedrohung empfunden, ganz im Gegensatz zum französischen Geheimdienst, der eine Bedrohung darstellte. Dieser ist bekannt für sein agressives Vorgehen mit technisch hoch entwickelten Mitteln. Die Schweizer sind zwar auch sehr kompetent und sehr professionell, aber sie sind personell schwach dotiert. Und in mancher Hinsicht unter amerikanischem Einfluss.
Die Schweiz stellt sich in den internationalen Beziehungen als neutral dar, was in vielen Fällen stimmt. Doch leider ist das im Bereich der Spionage nicht ganz der Fall. Ich möchte hier nicht einzelne Anschuldigungen oder Kontroversen erwähnen. Es sollte nicht an mir liegen zu entscheiden, welche Informationen man publik machen soll oder nicht. Das ist die Rolle der Presse. Und doch ist es wohlbekannt, dass es im Zusammenhang mit Dossiers über Massenvernichtungswaffen und über die Verbreitung von Atomwaffen Operationen der CIA in der Schweiz gab. Dabei wurden schweizerische Gesetze in enormem Umfang verletzt. Das Gleiche geschah in Deutschland und anderen Grenzregionen. Leider gab es in diesen Fällen politischen Einfluss, der auch von ganz oben in der Regierung kam. So fühlen sich Vertreter der US-Regierung in Sicherheit, wenn sie schweizerische Gesetze missachten. Sie wissen, dass es weder Konsequenzen noch negative Auswirkungen zur Folge haben wird.
Barack Obama sagte, Sie seien kein Patriot. Was antworten Sie ihm?
Es ist in Ordnung, dass es diese Meinungsverschiedenheit gibt. Es steht mir nicht zu, dem Präsidenten der USA zu sagen, was er denken soll oder nicht. Aber jetzt, zwei Jahre nachdem diese Anschuldigungen gegen mich erfolgt waren, können wir beurteilen, nicht unter dem Einfluss von Emotionen oder im Bezug auf Personen, sondern auf Grund der Tatsachen und der Geschichte. Der Präsident sagte, ich hätte mein Land und andere Länder weniger sicher gemacht, ich würde menschliches Leben gefährden, amerikanische Soldaten würden sterben, es klebe Blut an meinen Händen. Wenn man in die Zeit des Juni 2013 zurückschaut, war das eine furchtbare Periode. Niemand verstand wirklich, was geschah. Die Regierung dachte, ich sei ein chinesischer oder russischer Spion.

Aber wenn man die Dinge heute objektiv näher anschaut, ist die Überwachung grösser als sie jemals war. Doch die jüngsten Terroranschläge wurden von Leuten verübt, die den Nachrichtendiensten bekannt waren. Die elektronischen Massenüberwachungsprogramme, die uns alle überwachen, sind sehr teuer. Das sind Ressourcen, die man anderweitig einsetzen könnte. Man hätte sie in traditionelle, althergebrachte Methoden investieren können, in Polizeimethoden, die sich bewährt haben. Man weiss, dass diese Methoden Terroranschläge verhindern können und dass sie effizient sind, mehr als die Massenüberwachungsmethoden, deren Effizienz nicht bewiesen ist.
Setzen Sie noch Hoffnungen in Barack Obama im Bezug auf Ihren Kampf?
Ich versuche, mich nicht auf mich zu konzentrieren, denn schliesslich ist das, was mir zustösst, nicht wichtig. Das zu sagen scheint von Gleichgültigkeit zu zeugen. Was immer Sie von mir denken – ob Sie mich als einen Helden oder einen widerlichen Verräter halten: Ich war nur der Auslöser dieser Aufdeckung. Wer darauf hingearbeitet hat, dass alles ans Licht kommt, sind die Presse, politische Aktivisten, Anwälte, gewöhnliche Bürger. Sie sagten, unsere Rechte seien wichtig und man müsse handeln. Es geht nicht darum, ob der Präsident der USA etwas machen wird, das mich betrifft, sondern was er für uns alle tun wird. Ohne irgendein Gesetz zu ändern, liegt es in seiner Macht, mit seiner Unterschrift den Programmen, die weiterhin die Telefongespräche aller Amerikaner überwachen und aufzeichnen, sofort ein Ende zu setzen: Die privaten Daten von 330 Millionen Menschen werden abgefangen, gespeichert und analysiert, ohne dass diese Personen irgendeiner kriminellen Aktivität verdächtig werden.
Wurden diese Überwachungsprogramme jetzt geändert, oder waren das nur Versprechungen?
Sie wurden nicht wesentlich geändert. Es gab lediglich einige geringfügige politische Änderungen. Sie sagten: «Wir werden weiterhin alle Ihre Daten sammeln. Wenn Sie ausländischer Staatsbürger sind, gibt es für Sie keine juristische Möglichkeit, sich gegen das Ausspionieren zu wehren. Wenn wir unsere Rapporte über Ihre Aktivitäten publizieren, werden wir Ihre Namen abdecken, sofern es sich um etwas nicht ‹Wichtiges› handelt.»
Man wird also wissen, für wen Sie arbeiten, was Ihr Unternehmen herstellt, an wen es verkauft, welches Ihre Freunde sind, mit wem Sie schlafen, mit wem Sie telefonieren. Man wird Ihnen sagen: «Das sind nicht die ‹wichtigen› Teile dieses Rapportes. Wir werden sehen, welcher Teil uns interessiert.» Das ist besser als nichts, aber es bleibt eine sehr schwerwiegende Verletzung unserer Rechte.
Gibt es Ihrer Meinung nach totalitäre Tendenzen des NSA und des amerikanischen Systems?
Ich glaube nicht, dass die Leute, die für die NSA arbeiten, schlechte Menschen sind. Ich glaube nicht, dass sie irgendjemandem schaden, die Rechte irgendwelcher Personen verletzen wollen. Ich weiss, wovon ich spreche. Ich war einer von ihnen, ich sprach mit ihnen. Sie hatten die gleichen besorgten Anliegen wie Sie und ich. Aber sie denken, es sei ihnen nicht möglich, die Dinge zu ändern, weil die Beschlüsse auf viel höherem Niveau gefasst werden. Sie glauben auch, dass das Resultat dieser Aktivitäten gut ist. Sie sagen sich: «Wenn es uns gelingt, einen Anschlag zu verhindern, rechtfertigt das alles.» Auch wenn kein Anschlag auf dieser Grundlage bis jetzt verhindert werden konnte. Es ist ein Teil der Herausforderung anzuerkennen, dass auch Leute mit guten Absichten gefährliche und schlechte Handlungen begehen können.
Was würden Sie als Amerikaner sagen: ist die Logik der USA nicht zwangsläufig imperialistisch? Und kann sich das ändern?
Ich glaube, wir beginnen, uns von der Idee abzuwenden, dass die USA auf dem Gipfel der Welt thronen und das Resultat jeglicher Entscheidung in allen Ländern diktieren muss. Denn das ist eine Politik des Konflikts. Und obwohl sie funktioniert und gewissen Personen, gewissen Angehörigen der Elite politisch zu Gute kommen kann, ist sie nicht gut für die Gesellschaften. Ich spreche nicht nur von der internationalen Gemeinschaft und davon, ob die Welt damit einverstanden ist. Auch viele US-Amerikaner sind damit nicht einverstanden, weil es auch für sie schlecht ist. Wenn die Regierung eine Politik führt, die das Gewaltniveau in der Welt nicht verringert, riskieren wir am Schluss mehr Konflikte durch harte, agressive politische Positionen. Das wird zwangsläufig eine Zunahme der Gewalt und der Spannungen bewirken, was für niemanden von Gutem ist.


Übersetzung aus dem Französischen von Walter Rohner.

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2 Meinungen

  • am 14.04.2015 um 01:45 Uhr
    Permalink

    Zu «Und doch ist es wohlbekannt, dass es im Zusammenhang mit Dossiers über Massenvernichtungswaffen und über die Verbreitung von Atomwaffen Operationen der CIA in der Schweiz gab. Dabei wurden schweizerische Gesetze in enormem Umfang verletzt."

    Dazu gehört möglicherweise die Vernichtung der Akten über die Tinners. Dazu muss man wissen, dass osteuropäische Firmen im Auftrag von CIA / MI6 / Mossad damals manipulierte Teile für die Anreicherungsanlagen im Iran geliefert haben mit dem Ziel, Zentifugen zum explodieren zu bringen. Das hat auch funktioniert, wobei es auch Tote gab.
    Mit Berufung auf Mossad-Quellen sind sind neben osteuropäische Firmen auch die Tinners genannt worden. Daher ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass diese sonst unerklärliche Aktenbeseitigung der der Verdeckung dieses Sabotage/Mordkomplotts gedient haben könnte.

    Quelle: Mossad: The Greatest Missions of the Israeli Secret Service [Hardcover] Michael Bar-Zohar (Author), Nissim Mishal (Author)

    MfG
    Werner T. Meyer

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