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Monopol statt freie Wahl für die Leserinnen und Leser © BZ

Schweizer Medien-Konzerne dürfen sich absprechen

Christian Müller /  In der Presselandschaft wird die freie Marktwirtschaft mehr und mehr ausgehebelt – mit dem Segen der Wettbewerbskommission (Weko).

Dieser Artikel zu den Marktabsprachen der Schweizer Medien-Konzerne erschien auf infosperber am 3. Februar 2012. Jetzt hat die Weko den neusten Deal zwischen der EMG/Tamedia und der AZ Medien Gruppe wie erwartet offiziell abgesegnet.

Die freie Marktwirtschaft ist unbestritten. Kein Ökonom, kein Politiker würde es wagen, sie in Frage zu stellen. Es wissen zwar alle, dass sie nicht wirklich funktioniert, aber so wagt das keiner zu formulieren. Man spricht deshalb von «Marktversagen» und suggeriert damit, dies sei sozusagen die Ausnahme.

Freie Marktwirtschaft funktioniere, so das Axiom der Ökonomen, weil der Mensch als «homo oeconomicus» selbstverständlich von zwei Angeboten das preisgünstigere oder bei gleichen Preisen das bessere wähle (was nachgewiesenermassen auch nicht stimmt, aber das ist ein anderes Thema). Und natürlich muss die Voraussetzung stimmen, dass es überhaupt eine Auswahl gibt: ohne Auswahl keine «freie» Wahl zum Kauf. Die Grosskonzerne haben deshalb längst die Strategie gewechselt: Sie versuchen mit ihren Produkten gar nicht mehr günstiger oder besser zu sein, denn das würde ja ihre Profite reduzieren, nein, sie schalten den freien Markt einfach aus. Und dies mit einer einfachen Methode: sie kaufen die Märkte.

All das ist detailliert nachzulesen bei Colin Crouch, einem der zurzeit scharfsinnigsten Wirtschafts- und Politik-Wissenschafter, der die Welt sehr genau beobachtet (siehe Link unten).

Es funktioniert auch im Kleinen

Was die Globalplayers weltweit tun, funktioniert aber oft auch im Kleinen, zum Beispiel in der kleinen Schweiz. Gut zu beobachten ist das in der Presselandschaft. Da, wo es zwei oder gar drei Zeitungen gibt, müssen sich alle anstrengen, die bessere zu sein. Denn die Leserinnen und Leser entscheiden sich, so die Annahme, bei gleichem Preis für die bessere oder bei ungleichen Preisen für die günstigere – und sie sind damit auch die Profiteure des freien Marktes. Wer aber keine Freude an diesem System hat, sind die Verlage.

Was also tun sie? Sie haben es bei den Grosskonzernen abgeschaut und praktizieren es nun im Kleinen: sie schalten den freien Markt aus, indem sie die Märkte kaufen.

Märkte kaufen? Es gibt noch eine zweite, eine sogar billigere Variante: man spricht sich ab und verteilt die Märkte. Eklatantestes Beispiel (neben Dutzenden anderen): Bis etwa 2005 kämpften im Grossraum Zürich/Nordostschweiz die Verlage NZZ (mit NZZ und St. Galler Tagblatt), Tamedia (TagesAnzeiger), Zürichsee-Zeitung, Landbote (Winterthur) und Thurgauer Zeitung um die Gunst der Leserinnen und Leser. Dann kam die Thurgauer Zeitung per Verkauf an die Tamedia. Doch der (teure) Kampf und die Leser und Leserinnen blieb. Bis 2010 auch die Zürichsee Zeitung zum Verkauf kam. Jetzt setzten sich die NZZ und die Tamedia zusammen und zogen auf der Landkarte die Striche. Die Zürichsee Zeitung, an der die NZZ bereits beteiligt war, ging an die Tamedia, dafür übergab die Tamedia die ihr gehörende Thurgauer Zeitung der NZZ, um sie mit dem St. Galler Tagblatt zusammenlegen zu können. Eine klassische Marktabsprache. Mit Millionengewinnen auf beiden Seiten. Wo keine Konkurrenz mehr ist, muss man auch weniger bieten, sprich: es können Journalisten und Journalistinnen, Redaktoren und anderes Personal eingespart werden, es können Marketing-Kosten eingespart werden, die Umfänge können reduziert werden, die Distribution wird einfacher. Dafür können die Abo-Preise und die Anzeigenpreise ohne Gefahr erhöht werden. Leserinnen und Leser, aber auch Anzeigenkunden haben ja gar keine andere Wahl mehr. Wenn sie über ihre Region etwas erfahren wollen, oder wenn sie in ihrer Region inserieren wollen, dann gibt es nur noch eine Zeitung, die in Frage kommt.

Und das alles ohne Widerspruch?

Wo ein allgemeiner Aufschrei zu erwarten war, passierte gar nichts. Wo umgotteswillen hätte man denn aufschreien wollen? Einen Leserbrief schreiben? Aber wo denn? Und überraschenderweise hatte auch die Wettbewerbskommssion Weko nichts dagegen einzuwenden. (Immerhin gibt es einen Zürcher Wirtschaftsanwalt, der von einigen Grossinserenten den Auftrag hat, die Preisentwicklung auf dem Anzeigenmarkt genau zu beobachten. Sollten hier zu offensichtliche Missbräuche erkennbar werden, könnte immer noch geklagt werden. Eine Klagefrist gibt es für eine solche Klage nach Auskunft dieses Anwalts nicht.)

Und so geht es weiter

Vor knapp zwei Monaten, Mitte Dezember 2011, beschäftigten sich die Schweizer Zeitungen vor allem mit einem Thema: Wem gehört eigentlich die Basler Zeitung? Gehört sie wirklich Christoph Blocher oder vielleicht doch nicht? Da platzte am 12. 12. die Nachricht rein, dass Radio 24 von der Tamedia an den Aargauer Verleger Peter Wanner und seine AZ Medien Gruppe verkauft wurde. Und nur wer sich die Sache etwas genauer ansah, entdeckte auch noch eine kleine Zusatzmeldung: Zwischen der AZ und der Tamedia wurde gleichzeitig abgesprochen, dass das zu den AZ Medien gehörende Langenthaler Tagblatt an die Espace Media Groupe in Bern geht, die ihrerseits zum Tamedia Konzern gehört.

Langenthal, eine Kleinstadt im Oberaargau, der trotz seines Namens zum Kanton Bern gehört, knapp 25 km von Solothurn entfernt, mit etwas über 15’000 Einwohnern: hier gab es immer noch zwei Zeitungen, die um Leserinnen und Leser buhlten, das Langenthaler Tagblatt und die Lokalausgabe der Berner Zeitung. Hier überlappten sich bisher die Einflussgebiete von Tamedia und AZ, zum Vorteil der Leser und Leserinnen. In den Augen dieser Verlage aber ein Unding! Das kostete ja auf beiden Seiten Geld: Journalisten und Journalistinnen, Redaktoren, Marketingkosten, und und (siehe oben!).

Der Markt wird «bereinigt»

In Bälde gibt es also auch in Langenthal nur noch eine Zeitung. Hat jemand einen Aufschrei gehört? Wo hätten die Langenthaler denn schreien sollen? In der Berner Zeitung, die nun neue Besitzerin des Langenthaler Tagblatts wird? Oder im Langenthaler Tagblatt, das der Verkäuferin AZ Medien gehört? Eine klassische Marktabsprache. Grosszügigerweise wurde den Angestellten des Langenthaler Tagblatts, bisher Angestellte der AZ Medien Gruppe, von der Tamedia zugesichert, ihre Stellen bis Ende Oktober 2012 behalten zu können…

Die Weko muss noch ihren Segen dazu geben. Aber nachdem sie erlaubt hat, dass es in der Zentralschweiz nur noch eine Tageszeitung gibt (der NZZ gehörend) und dass in Bern sowohl die Berner Zeitung als auch der «Bund» der Tamedia gehören, wie wollte sie verbieten, dass auch für Langenthal die freie Wahl auf dem Pressemarkt vorbei ist?

Doppelzüngig

Ja, warum sollten die Schweizer Medienkonzerne in der Schweiz nicht tun dürfen, was die Globalplayers weltweit schon lange tun? Es soll ja erlaubt sein, von den Grossen und Erfolgreichen zu lernen!

Ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem. Denn in allen Tageszeitungen der NZZ-Gruppe, der Tamedia und der Aargauer Zeitung kann man täglich lesen, dass der freie Markt die Basis unseres Wohlstandes ist und dass der Staat sich ja nicht erdreisten solle, diesen freien Markt in irgend einer Form zu regulieren. Wo sie doch alle sehr genau wissen, dass das grosse Geld nicht dort fliesst, wo es einen freien Markt (noch) gibt, sondern da, wo es den Marktbeteiligten gelungen ist, ihn – auf welche Weise auch immer – auszuschalten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine Der Autor war 25 Jahre lang Journalist und Redaktor und 20 Jahre lang Verlagsmanager bei verschiedenen Schweizer Medienunternehmen.

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2 Meinungen

  • am 4.02.2012 um 13:57 Uhr
    Permalink

    Ich habe aufgrund Ihrer Besprechung vom 5.12.11 Colin Crouchs «Das seltsame Überleben des Kapitalismuns» gekauft und gelesen und kann dieses Buch nur weiter empfehlen!

  • am 14.03.2012 um 15:31 Uhr
    Permalink

    Zum Glück gibt es noch das einigermassen freie Internet. Obwohl da auch schon Bestrebungen laufen …
    Unterstützen wir Infosperber, ZeitPunkt und die paar weitgehend unabhängigen Medien.

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