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Ulrich Tilgner mit sunnitischen Stammesführern in der irakischen Stadt Ramadi © srf

«Saudi-Arabien hilft radikal-islamischen Gruppen»

Red. /  Nahost-Spezialist Ulrich Tilgner hält das neue sunnitische Bündnis unter Führung von Saudi-Arabien für kontraproduktiv.

Red. Folgendes aufschlussreiche Interview des langjährigen SRF-Korrespondenten Ulrich Tilgner erschien auf watson.ch. Kürzlich hatte Tilgner in der SRF-«Arena» Klartext geredet und unangenehme Wahrheiten in die Diskussion gebracht. Infosperber hatte darüber ausführlich berichtet. Jetzt hat Saudi-Arabien angekündigt, zusammen mit 33 weiteren islamischen Staaten ein militärisches Bündnis gegen den Terror zu schliessen.

Frage: Eigentlich ist die islamische Anti-Terror-Allianz ja eher ein exklusiv sunnitischer Club. Ist das Tischtuch zwischen Sunniten und Schiiten zerschnitten?

Ulrich Tilgner: Das von Saudi-Arabien geführte Bündnis wurde nur gegen den «IS»-Terror, nicht aber gegen radikal-sunnitische Organisationen gebildet, die ebenfalls Terror ausüben – auch wenn der Kronprinz Saudi-Arabiens etwas anderes behauptet. Das Bündnis richtet sich also nicht gegen pakistanische Taliban-Gruppen. Auch Al Kaida nahstehende Gruppen wie Al-Nusra in Syrien und andere bleiben ausgespart. Es stimmt: Saudi-Arabien hat das Tischtuch zwischen sich und salafistischem Terror nicht zerschnitten, sehr wohl aber die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten vertieft. Das Bündnis leistet damit keinen Beitrag zur Befriedung des Mittleren Ostens, sondern verstärkt Konfrontationen und vertieft Gräben.

In Bahrain unterstützt Saudi-Arabien die Unterdrückung der schiitischen Mehrheit durch das sunnitische Herrscherhaus, im Jemen bekämpft Riad zusammen mit der Regierung schiitische Rebellen: Droht der Anti-Terror-Kampf zum Deckmantel für eine Abrechnung mit der Bruderreligion zu werden?  

Dieser Bruderkrieg existiert bereits und wird nur weiter angefacht. Es ist ein weiterer Schritt, den Wahhabismus zur dominanten Strömung unter den Sunniten auszubauen. Seit Jahrzehnten finanziert Saudi-Arabien die Ausbreitung dieses Wahhabismus: In den 80er Jahren waren Pakistan und Afghanistan die Hauptziele, später wurde unter den Muslimen auf dem Balkan und in Westeuropa missioniert. In den vergangenen Jahren standen Irak, Nordafrika und Syrien im Zentrum der saudischen Bemühungen. Die neue Allianz ist das Ergebnis einer langjährigen Politik, die nur im Schatten der US-Aussenpolitik so erfolgreich sein konnte.

Rücken wir den Fokus auf Saudi-Arabien selbst: Welche Bevölkerungsgruppen fallen dort – ausser Schiiten – unter den Begriff «Terrorist»?  

Schiiten gelten als Abtrünnige, die ihr Leben verwirkt haben. Das erklärt auch das brutale Vorgehen von Polizei und Justiz in Saudi-Arabien. Dort gelten Schiiten offiziell als Staatsbürger, sind aber letztlich Bürger zweiter Klasse. Wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten werden Oppositionelle, die für westliche, demokratische Rechte und bürgerliche Freiheit eintreten, immer wieder als Terroristen gebrandmarkt.

Ist Riad denn überhaupt gegen den «IS»?

Sicherlich ist Saudi-Arabien auch gegen den «IS»-Terror. Das liegt daran, dass dieser Wurzeln im Wahhabismus hat, jedoch die Monarchie in Saudi-Arabien nicht akzeptiert. Die religiösen «IS»-Führer stehen eher in der Tradition der Eiferer, die die Grosse Moschee in Mekka 1979 besetzt hatten, was erst durch den Einsatz französischer Elitesoldaten beendet wurde. Die damalige öffentliche Enthauptung von 63 der Täter zeigt, wo Saudi-Arabien steht. Der «IS» steht in der Tradition der Moscheebesetzer.

Immer wieder wird Riad unterstellt, es unterstütze radikale islamische Strömungen – auch in Europa: Was ist da dran?

Saudi-Arabien ist neben den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Kuwait weltweit der Hauptunterstützer radikal-islamischer Strömungen. Diese Staaten und Geldgeber aus diesen Staaten haben auch alles daran gesetzt, die demokratischen Prozesse des «Arabischen Frühlings» abzuwürgen und in den betroffenen Staaten Bürgerkriege anzuzetteln.
Saudi-Arabien und Anti-Terror-Kampf – wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht?
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Saudi-Arabien nutzt die Gunst der Stunde, um sich dem Westen als Bündnispartner anzubieten. Inzwischen werden jedoch vor allem in den Beziehungen zwischen dem Königshaus und der US-Regierung Spannungen deutlich. Leider versuchen Staaten Westeuropas das entstehende politische Vakuum zu füllen und wirtschaftlich zu nutzen. Das gilt insbesondere für Frankreich, aber auch für Russland.

Unter den 34 Staaten der Koalition befindet sich auch Pakistan, wo Osama bin Laden, selbst ein Saudi, Unterschlupf gefunden hatte. Was kann Islamabad zu einem Anti-Terror-Kampf beitragen?

Pakistan muss erst einmal die Terroristen im eigenen Lande ernsthaft bekämpfen und Versuche unterbinden, afghanische Terrororganisationen zu unterstützen oder aufzubauen, um das Nachbarland zu destabilisieren. Weil Pakistan die Taliban nicht mehr völlig kontrollieren kann, werden jetzt von Pakistans militärischem Geheimdienst ISI in den Provinzen Kunar, Nangahar und Kost «IS»-Gruppen aufgebaut.

Wie wichtig ist Ägypten? Besteht die Gefahr, dass Kairo die Koalition nutzt, um mit der ungeliebten islamischen Opposition im eigenen Land aufzuräumen?

Die Militärdikatur in Ägypten ist in enger Kooperation mit den ölreichen Golfstaaten aufgebaut worden – und hängt an deren Subventionstropf. Auch in Ägypten droht langfristig ein Bürgerkrieg, weil islamistische Kräfte immer stärker werden. Saudi-Arabien ist ein erklärter Gegner der ägyptischen Muslimbrüder, die demokratische Prinzipien zu einem grossen Teil akzeptiert haben – im Gegensatz zu pro-saudisch-salafistischen Kräften, die den Militärputsch unterstützt haben und deren radikale Teile sich langfristig den Aufständischen anschliessen dürften.

Welche Rolle spielt die Türkei?

Ohne die Unterstützung durch diesen Brückenkopf der NATO hätte der «IS» gar nicht aufsteigen können. Die türkische Politik ist durch und durch verlogen und doppelbödig – deshalb passt die Türkei genau in dieses Bündnis. Sie möchte die syrische Opposition weiter beeinflussen und für ihre eigene Politik nutzen.

Syrien mit dem offenkundigsten Problem mit Islamisten ist nicht an Bord. Ein Fehler im System?  

Saudi-Arabien arbeitet auf den Sturz Assads hin – auch wenn dieser islamistische Kräfte aus den Gefängnissen entlassen hat, um die demokratische Opposition zu schwächen und zu diskreditieren. Assad ist ein nichtreligiöser Diktator, der vor allem von Alawiten, also Schiiten, und Christen unterstützt wird, die von Saudi-Arabien abgelehnt werden.

Wie eng wird Riad mit seiner Koalition Ihrer Meinung nach mit den USA zusammenarbeiten?

Saudi-Arabien versucht den schleichenden Rückzug der USA aus dem Mittleren Osten zum eigenen Vorteil zu nutzen. Dabei geht es dem Königshaus vor allem darum, die eigene Machtposition zu festigen und auch aussenpolitisch abzusichern. Im Vordergrund der neuen Koalition steht nicht der Kampf gegen den Terror, sondern die Bildung einer von Saudi-Arabien dominierten neuen sunnitischen Staatengruppe mit zum Teil von Riad finanzierten Regimen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Ulrich Tilgner ist Autor des Buches «Die Logik der Waffen», 2003, Orell Füssli Verlag, 29.90 CHF

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 22.12.2015 um 12:24 Uhr
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    Das ist eine bemerkenswerte und hervorragend Analyse in jeder Hinsicht, finde ich. Allerdings weckt sie die beängstigende Frage, WIE sich in dieser Situation unter Berücksichtigung der Fakten eine authentische Politik inszenieren lässt, in der wenigstens die Waffen schweigen und maximal eine tragfähige Perspektive interessenleitend werden könnte. Und gleichzeitig damit auch die Frage: WER bzw. von WEM ein solches Konzept in die Wege geleitet werden könnte … wobei die UNO nicht nur gefragt, sondern wohl gefordert erscheint…

  • am 23.12.2015 um 21:13 Uhr
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    Wie wahr, Ulrich Tilgner. Der Krieg gegen Assads sog. «Schurkenstaat» ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Dass dabei Grossbritannien, die USA und teils auch Frankreich sich auf die Seite der Saudis schlagen, ist für das, sich selbst als demokratischer «Marktführer» gebende Europa, mehr als peinlich. Vor noch nicht langer Zeit habe ich in einem NZZ oder FAZ-Kommentar tatsächlich gelesen, der Akaida-Ableger Al-Nusra gehörten zu den gemässigten Rebellen, die zu Recht das syrische Regime bekämpften … da verstehe ich die Welt nicht mehr.

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