Benken

Ortsgemeinde Benken SG mit 700 Stimmberechtigten © is

Ortsgemeinde-Vorstand stellte Medien vor die Türe

Stefanie Hablützel /  Das war in St. Gallen rechtswidrig. In Graubünden können Gemeindeversammlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Die Bürgergemeinde von Benken (SG) verbot Journalisten kurzerhand, an einer Versammlung dieser Ortsgemeinde teilzunehmen (nicht politische Gemeinde). Rechtswidrig, wie sich herausstellte. Glück für die St. Galler Journalisten, Pech für die Bündner Kollegen: Dort sind Gemeindeversammlungen prinzipiell geheim.
«Novum: Ortsgemeinde schliesst Medien von Versammlung aus», hatte die Südostschweiz am 10. April getitelt. Der Grund: Eine Artikelserie der Obersee Nachrichten erhitzte die Gemüter der Ortsgemeindeveranwortlichen. Dabei ging es um jahrelange Streitereien wegen eines Bauernhofs. Aufgrund von Prozessakten beschuldigten die Obersee Nachrichten die Ortsgemeinde unter anderem, einen Bauer in den Tod getrieben zu haben, sowie der Vetternwirtschaft bei der Landvergabe.
«Ich kann die Sicherheit nicht garantieren»

Ortsverwaltungspräsident Albert Glaus hatte genug. Gegenüber der Südostschweiz sagte er: «Die Volksseele in Benken kocht». Journalisten, egal von welchem Medium, seien deshalb nicht an der Versammlung erwünscht. Er könne die Sicherheit nicht garantieren. Gegenüber investigativ.ch schrieb Glaus, entscheidend für den Ausschluss der Presse seien anonyme Briefe an die Adresse von ehemaligen und amtierenden Ratsmitgliedern gewesen. Als Auslöser der Briefe bezeichnete er die «ungeheuerliche und teils unwahre» Berichterstattung der Obersee Nachrichten.

Nichts damit anfangen konnte das St. Galler Amt für Gemeinden. Es rügte die Gemeindeverantwortlichen: «Wir haben sie explizit angewiesen, Medienschaffende künftig zuzulassen», sagte Leiter Lukas Summermatter gegenüber der Südostschweiz. Es sei noch offen, ob das ganze ein juristisches Nachspiel habe, sagte Summermatter. Medienschaffende hätten jedoch die Möglichkeit, gegen die Ortsgemeinde rechtliche Schritte einzuleiten.
Geheime Versammlungen in Graubünden

Der Kanton St. Gallen regelt die Frage der Öffentlichkeit im Gemeindegesetz. Dieses hält fest, dass auch nicht Stimmberechtigte bei Versammlungen zugelassen sind. Davon können Journalistinnen und Journalisten in Graubünden nur träumen. Im kantonalen Gemeindegesetz fehlt ein entsprechender Artikel, die Situation ist also gesetzlich nicht geregelt. Thomas Kollegger, Leiter des Bündner Amts für Gemeinden, schreibt dazu, die Juristen seien sich einig, «dass die Bündner Gemeindeversammlungen nicht öffentlich sind». Dabei handle es sich um eine «langjährige, gefestigte Praxis». Jede Gemeinde könne jedoch selber entscheiden, ob nicht Stimmberechtigte an der Gemeindeversammlung teilnehmen dürfen.

Im Klartext: In Graubünden bedeutet das für Journalistinnen und Journalisten regelmässig verschlossene Türen. «Die Surselva ist in der Regel besonders strikt, das Engadin hat eine etwas liberalere Praxis», ärgert sich Gian Ramming, Chefredaktor von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha und Mitglied von investigativ.ch. Eine mühsame Geschichte, «weil wir immer nur über Umwege zu den Informationen gelangen und so eher dem Vorwurf ausgesetzt werden, einseitig und unvollständig zu berichten. Auch hier gilt: Der direkte Zugang zu den Fakten würde allen zugute kommen.»

Auf der anderen Seite gibt es auch Bündner Gemeinden, die ihre Türen öffnen, beispielsweise Vals. Für die Medien wichtig war dies insbesondere beim umstrittenen Verkauf der Therme. Wehe aber, die Gemeindeverantwortlichen wechseln ihre Meinung. Glücklich dann das Medium, dass ein Gemeindemitglied in den eigenen Reihen hat.
«In Zürich sind Versammlungen natürlich öffentlich»

Gerade umgekehrt interpretiert wird die ungeregelte Situation im Kanton Zürich: «Medienberichterstatter müssen stets die Möglichkeit haben, ihre im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe wahrzunehmen», schrieb Alexander Locher, Jurist beim Zürcher Gemeindeamt. Künftig soll dies auch im Gemeindegesetz stehen, eine Revision läuft. Kein Wunder, schrieben mehrere investigativ.ch-Mitglieder auf einen internen Aufruf, dass die Versammlungen im Kanton Zürich «natürlich öffentlich» seien.

Ähnlich berichtete auch investigativ.ch-Mitglied Matieu Klee (seit kurzem bei Radio SRF, Regionaljournal Basel) «aus gefühlten 200 besuchten Gemeindeversammlungen» im Kanton Baselland. Einzig Bild- und Tonaufnahmen seien nicht selbstverständlich. «Ich erinnere mich an eine Gemeindeversammlung, an der sich ein Einwohner daran störte, dass ein Redaktor des Regionaljournals Voten aufnehmen wollte. Die Gemeindeversammlung stimmte seinem Antrag zu. Der Journalist musste damals sein Mikrofon wieder einpacken

Vergleichbare Regeln haben auch andere Kantone. Die Leute einer Gemeinde sollen sich politisch äussern können, ohne am nächsten Tag mit Bild und Name im Regionalfernsehen zu kommen. Der Kanton Bern, wo Gemeindeversammlungen öffentlich sind, schränkt das Recht für Bild- und Tonaufnahmen folgendermassen ein: «Jede stimmberechtigte Person kann verlangen, dass ihre Äusserungen und Stimmabgaben nicht aufgezeichnet werden» (Informationsgesetz, Artikel 10). Eine gute Lösung, die in den meisten Fällen doch Aufnahmen ermöglichen sollte.
Und im Kanton Glarus, teilte Südostschweiz-Dienstchef Daniel Fischli mit, seien Gemeindeversammlungen grundsätzlich öffentlich. Bild und Tonaufnahmen bedürften der Bewilligung, «wobei ich mich nicht erinnern kann, dass diese je verweigert worden wäre
Öffentlichkeit durch offene Säle

Eine erster, nicht vollständiger Überblick zeigt: Mehrere Kantone setzen bei Gemeindeversammlungen auf Öffentlichkeit. Jeder kann sich selber ein Bild machen, wie politische Entscheide zustande kommen. Grundsätzlich sollte der Fall eigentlich klar sein: In einer föderalistischen Schweiz, die die Gemeinde als wichtiges politisches Gremium versteht, müssten Versammlungen öffentlich sein. Dafür braucht es in Kantonen, die diese Öffentlichkeit nicht bereits explizit regeln, einen entsprechenden Gesetzesartikel.

Die Praxis von Gemeindevertretern schliesslich, missliebige Journalisten auszuschliessen, erinnert an den Science-Fiction-Streifen Minority Report: Bevor das Verbrechen begangen wurde, verhaftet man bereits den Kriminellen. Falls Medien Falsches berichten, können und sollen Gemeinden sich wehren, sei es mit einer Gegendarstellung, einer Beschwerde oder einer Klage. Eine erste Anlaufstelle ist der Presserat, die Beschwerde dort ist kostenlos.

Die St. Galler Ortsgmeinde Benken beispielsweise publizierte auf ihrer Internetseite eine Gegendarstellung. Ortsverwaltungspräsident Albert Glaus schreibt, man verzichte aber vorderhand «auf eine Klage gegen den Schreiberling der Obersee-Nachrichten». Den Grund wollte er nicht nennen.
Bis zur diesjährigen Bürgerversammlung habe die Ortsverwaltung die Medien immer zugelassen und würde dies «wahrscheinlich auch weiterhin» tun, erklärte Glaus gegenüber Infosperber. Für Tonaufnahmen müssten die anwesenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zustimmen. Fotos seien grundsätzlich erlaubt, jedoch keine Filmaufnahmen.


Dieser Beitrag erschien auf «Investigativ.ch»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Stefanie Hablützel ist Co-Präsidentin von investigativ.ch und Produzentin sowie Redaktorin des Regionaljournals Graubünden von Radio SRF.

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