Kommentar

GASTkommentar: Made in Laogai

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsPaolo Bernasconi war Staatsanwalt im Kanton Tessin und Titularprofessor an der Universität St. Gallen. ©

Paolo Bernasconi /  Nein zum Freihandelsabkommen mit China, das diese Woche im Ständerat debattiert wird.

Dank des am 6. Juli 2013 unterzeichneten 1’152-seitigen Freihandelsabkommens (FHA) zwischen der Volksrepublik China und der Schweiz wird die Schweizer Bevölkerung zur Beibehaltung und Förderung des chinesischen Laogai-Systems beitragen. Allen internationalen Menschenrechtsorganisationen ist der Laogai-Komplex bestens bekannt: Es handelt sich um das grösste Zwangsarbeitslager­system der Welt. Schätzungsweise 4 Millionen Menschen werden darin zu Zwangsarbeit gezwungen, 7 Tage die Woche, bis zu 16 Stunden am Tag. Folter und Gewalt, ungenügende Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, Schlafentzug und die Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung gehören zum Alltag vieler Gefangener. Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass seit Errichtung der Lager im Jahr 1949 zwischen 40 und 50 Millionen Menschen in Laogais inhaftiert waren [1]. Unter dem Druck der internationalen Kritik hatte der letzte Kongress der Kommunistischen Partei Chinas im vergangenen Herbst angekündigt, dass das Laojiao (zu Deutsch «Umerziehung durch Arbeit») abgeschafft werde [2]. Internationale menschenrechtliche Organisationen haben gewarnt, dass diese Ankündigung wohl nur bedeutete, dass die Insassen des Laojiao-Systems einfach in die Haftanstalten des Laogai-Systems verlegt würden.

Gemäss publizierten Recherchen der beiden kanadischen Menschenrechtsanwälte David Kilgour und David Matas [3] wird auch das Vorhandensein des Handels mit menschlichen Organen von Insassen in chinesischen Konzentrationslagern, wo unter anderem Mitglieder der Falon Gong Gemeinschaft eingesperrt wurden, belegt. Auf diesbezügliche Fragen des UN High Commissioner for Human Rights und des Europarats hat die chinesische Regierung keine Antworten gegeben. Allen diesen Berichten, Studien, Forschungen und Protesten zum Trotz hat der Schweizer Nationalrat im Dezember das FHA mit China ratifiziert, auch wenn dieses Abkommen – erstmals in der Schweizer Geschichte – keine Klausel über den Schutz der Menschenrechte enthält. In seinem Rechtsgutachten vom 25. Februar 2014 hat Prof. Dr. Oliver Diggelmann der Universität Zürich erstens die rechtliche Stellung des Abkommens über Zusammenarbeit in Arbeit- und Beschäftigungsfragen und, zweitens, die Bedeutung des Abkommens für die Menschenrechtssituation in China untersucht. Der Bundesrat verwies wiederholt auf die «Verbundenheit» dieses Arbeitsfragenabkommens mit dem Freihandelsabkommen mit China. Der Gutachter kommt zu folgendem Schluss: «Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zu beanstanden, dass Behörden – teilweise ex- und teilweise implizit, sachlich unzutreffend – den Eindruck erweckten, die Abkommen seien rechtlich miteinander verbunden».

Durch das Fehlen im FHA der gewohnheitsrechtlichen Klausel zum Schutz von Arbeitsbe­dingun­gen, Ächtung von Zwangsarbeit und Schutz der Menschenrechte und der Rechte der Minoritäten, unter anderem die Tibeter und die Uiguren, die unter ständiger ethnischer Säuberung leben müssen, bezweckt die chinesische Regierung, das Freihandelsabkommen mit der Schweiz als Muster für ähnliche Abkommen mit anderen Ländern in der Welt zu verwenden. Dies bedeutet, dass die Haltung der Schweiz als Muster für ähnliche Abkommen mit anderen Ländern gelten wird, die ohne Klausel zum Schutz von Arbeitnehmern und Menschenrechte ratifiziert werden. Das gleiche wird auch für die Schweiz gelten, die den Abschluss ähnlicher Freihandelsabkommen ohne Arbeitsschutz- und Menschenrechtsklausel auch schon mit Indien, Indonesien, Russland, Weissrussland und Kasachstan plant.

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt hat sich der Bundesrat darum gekümmert, die geistigen Eigentumsrechte zu schützen, trotzdem «die Schweizer Regierung räumt ein, dass das Abkommen keinen Schlussstrich unter die Frage der geistigen Eigentumsrechte ziehen, aber einen wirksameren Rahmen für die Beilegung von Streitigkeiten bieten würde» [4]. Es erscheint jedoch in der Wirklichkeit klarerweise unmöglich, vor den chinesischen Zivilgerichten zu erzielen, dass ein chinesisches Unternehmen wegen unlauteren Wettbewerbs und Verletzung von geistigen Eigentumsrechten eines Schweizer Unternehmens verurteilt wird.

Zur vermeintlichen Förderung der Schweizer Wirtschaft verlangt der Nationalrat von der Schweizer Bevölkerung einen Beitrag zur Entwicklung des Laogai-Systems. Es handelt sich um eine Grundsatzfrage, die wenigstens verdient, dass das Schweizer Volk darüber entscheiden könnte. Aber der Nationalrat hat gegen die Klausel des fakultativen Referendums gestimmt. Gemäss einem zweiten Rechtsgutachten von Prof. Diggelmann vom 15. Februar 2014 verstösst dieser Nationalratsbeschluss gegen die schweizerische Verfassung. Ein weiteres Argument, um dieses Freihandelsabkommen dem fakultativen Referendum zu unterstellen, kann aus dessen Widerspruch mit dem Text der am 9. Februar 2014 angenommenen Initiative gegen die Massenzuwanderung vorgebracht werden. In der Tat stehen die beiden Vorlagen im Widerspruch zueinander, weil im FHA gewisse Kadermitarbeiter und Spezialisten ausdrücklich von jeglicher Kontingentierung ausgenommen werden, während die Volksinitiative verlangte, dass «sämtliche Bewilligungen im Ausländerrecht durch Höchstzahlen­kontingente begrenzt werden sollen». Und sie verbietet ausdrücklich den Abschluss von Verträgen, die dem Initiativtext widersprechen. In einem Artikel der am 17. März in der Fachzeitschrift Jusletter veröffentlicht werden soll, heisst es, dass gemäss Initiativtext Ausnahmen von Höchstzahlen grundsätzlich nicht mehr möglich seien. Auch wegen dieser neuen Vorkommnisse sollte das FHA als so wichtig gehalten werden, dass das Volk zu ermächtigen ist, darüber zu entscheiden. Es wäre widersprüchlich, dass sämtliche Doppelbesteuerungsabkommen, die während der letzten Jahre nur wegen weniger Neuheiten ratifiziert wurden, der Klausel des fakultativen Referendums unterstellt wurden, und dies nicht für dieses FHA erfolgt, das derart gravierende Grundsatzfragen betrifft. Hauptfrage: Will das Schweizer Volk ohne Menschen­rechtsklausel mit einer Regierung zusammenarbeiten, welche die schlimmste Seite des Kommunismus beibehält und die schlimmste Form des Kapitalismus übernommen hat.



[1] Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM); siehe auch Laogai Reseach Foundation, Washington D.C.;

[2] Human Rights Watch chides China for failing to push reform, 21 January 2014.

[3] Kilgour – Matas, Report into Allegations of Organ Harvesting of Falun Gong Practitioners in China, July 2006 / January 2007

[4] Nünlist Christian, Freier Handel zwischen China und der Schweiz, CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, Nr. 147, Februar 2014.

Dieser Beitrag erschien auf Journal21


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2 Meinungen

  • am 19.03.2014 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Alle ParlamentarierInnen, die diesem Freihandelsabkommen zustimmen werden, müssen sich einfach nur schämen. Wer mit China und Russland solche Abkommen abschliessen will, ist alles andere als ein lupenreiner Demokrat!

  • am 19.03.2014 um 22:06 Uhr
    Permalink

    Ich würde gerne einmal eine lupenreine Demokratie kennen lernen.
    (Das heisst überhaupt nicht, dass ich Chinas Menschenrechtsverletzungen entschuldigen möchte.)

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