JostAufderMaur2Web©RuediSuter

Seine Vorfahren waren Söldner: Jost Auf der Maur © Ruedi Suter

Die Söldner-Abrechnung mit der Schreibwaffe

Ruedi Suter /  Eine schonungslose Offenlegung der eigenen Familiengeschichte. Der Söldner-Nachfahre Jost Auf der Maur erzählt.

Dank einer schonungslosen Offenlegung der eigenen Familiengeschichte in einem Buch ist der Journalist und Söldner-Nachfahre Jost Auf der Maur auch auf bislang verdrängte Aspekte der Schweizer Geschichte gestossen: Das blutige Kriegshandwerk des Söldnerwesens wäre ohne die Tatkraft der Frauen daheim nie zum grossen Geschäft geworden – und die Schweiz wäre länger notleidend geblieben.

Der Einfluss der Vorfahren, er kann Jahrhunderte überdauern: Im Widerhall ihrer Taten, in Überlieferungen, im Tun oder Lassen der Nachfahren. Das Blut schwemmt das Erbgut weiter, von Generation zu Generation, ob wir es wollen oder nicht. Die Macht der Ahnen kann beflügeln, doch wehe, wenn sie bedrückt oder nur noch lähmt. Sich ihr zu entziehen, bedeutet ein langer, ein schmerzvoller Kampf – vor allem auch mit sich selbst. Damals wusste das Jost, der Bub, noch nicht, als ihn der Generalmajor rund eine Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg in der elterlichen Bibliothek mit dem Blick des Befehlsgewohnten von oben herab musterte. Eine imponierende Erscheinung, dieser Kommandant und katholische Inhaber eines Schweizer Regiments, mit seinem Stehkragen, den flotten Epauletten und den trutzig verschränkten Armen. An seiner Autorität gab es nichts zu rütteln, die Familie nannte ihr berühmtestes Mitglied stets respektvoll «der General». Jost, dem Knaben, war es aber nie wirklich wohl. Seine Bewunderung und der Familienstolz vermochten das Unbehagen dieser dominanten Galionsfigur gegenüber nie zu verscheuchen.

Herrschaft des Rühmlichen

Dabei hing Louis «Luigi» d’Auf der Maur einfach nur an der Mauer, scheinbar friedfertig und vornehm geschützt von einem schweren Rahmen aus Ebenholz. Aus diesem aber wachte er, der 1836 im Alter von 57 Jahren als hoch dekorierter Söldnerführer das Zeitliche segnete, unerbittlich darüber, dass nur Rühmliches und nie Nachteiliges über die kriegerische Familiengeschichte erzählt wurde. Von Ehrfurcht, Bewunderung und durch die Familienbande geknebelt, wagte über Generationen niemand, das oft auch blutige Handwerk des Generals, seiner Verwandten und der damaligen Kampf- und Eidgenossen laut in Frage zu stellen. Erst 2011 sollte Luigi in seinem mittlerweile emanzipierten und nunmehr 58-jährigen Ur-Ur-Ur-Enkel Jost auf der Maur seinen Kritiker und Bezwinger finden.

Als Waffe diente Spross Jost das geschriebene Wort: Ein schmales Buch nur, mit dem er aber treffsicher die landesweit fast fünf Jahrhunderte gepflegte Verherrlichung des eidgenössischen Söldnerwesens in Trümmer legt und damit erstmals den Blick frei macht auf bislang Verborgenes oder fahrlässig Verdrängtes. Doch zuerst musste der kleine Jost zum Manne und Soldaten reifen, zum Frauenliebhaber, zum Winzer, Gastronomieexperten und vor allem zum unbestechlichen Journalisten mit dem Kürzel AdM. Doch was auch immer er tat, in seinem Handeln pulste stets auch etwas vom Blut seiner genussfreudigen, erlebnishungrigen und kämpferischen Vorfahren mit.

Erste Befehlsverweigerung

So liess sich Auf der Maur Jost, Jahrgang 1953, bei den Fallschirm-Grenadieren einteilen, der härtesten und damals jüngsten Truppengattung der Schweizer Armee. Doch dem trotz allem auch vom Stolz auf seine Vorfahren geprägten und angehenden Rekruten der Elite-Einheit war das Glück alles andere als hold: Am 1. Mai 1973 schwebte er im zivilen Fallschirm-Vorkurs um 17 Uhr zusammen mit anderen Springern über der Magadino-Ebene, als auf 50 Meter Höhe ein unglücklich herunter kommender Kamerad in seinen Fallschirm flog. Dieser sackte zusammen, und der Söldner-Nachfahre stürzte ungebremst auf die Erde zu. Nach dem Aufschlag schwebte der Rekrut wieder, diesmal aber zwischen Leben und Tod. Nur dank den wiederholten Operationen und diesem jungen ausländischen Arzt mit den völlig neuen Chirurgiemethoden überlebte er. Es folgten zwei schmerzhafte Jahre – an Krücken. «Dem Rollstuhl bin ich nur knapp entgangen, sonst hätte ich mich wohl zu Tode gesoffen», weiss Auf der Maur heute.

Waren es der fordernde Blick des Gemälde-Generals Luigi, die vererbte Zähigkeit oder der persönliche Ehrgeiz, die damals den jungen Mann schliesslich seine Schmerzen verdrängen und ein selbstquälerisches Training aufnehmen liessen? Jedenfalls schloss Auf der Maur Jost seine Grenadierausbildung ab. Klar, dass ihr die Unteroffiziersschule folgen musste. Der Offizierskarriere aber verweigerte er sich – eine erste Befehlsverweigerung gegenüber dem «General» und dem tradierten Zwang der 400 Jahre umfassenden Ahnengalerie aus hochrangigen Offizieren in fremden Kriegsdiensten. «Die ganze Geschichte hat mich auf mich selbst zurückgeworfen. Unter anderem entdeckte ich, dass ich sterblich bin», sinniert heute der Rebell wider die Familientradition.

Ende einer Söldner-Offiziersdynastie

Es war aber nicht nur dieses «memento mori», dieses «Gedenke, dass du sterblich bist», das den jungen Mann damals immer entschiedener seinen eigenen Weg gehen liess. Auf ihn wirkte wohl auch die unkriegerische Geisteshaltung seines Vaters, Gustav Louis Joseph Auf der Maur (1915-1992), und seiner gefühlsvollen Mutter Anna Marie Hefti. Gustav hatte als erster in der Dynastie seine Anna nicht «standesgemäss», sondern aus reiner Liebe geehelicht. Sie zogen in ihrem Anwesen fünf wohl behütete Kinder auf. Vater Gustav, so wird Sohn Jost später gereift feststellen, «war der erste Bürgerliche in der Familie, der seine Existenz wieder mit echter Tüchtigkeit im Zivilleben – als solide ausgebildeter Architekt – gut zu bestreiten wusste». Verprasst wurde hingegen das einst grosse Vermögen aus der Zeit der Söldner-Vorfahren von Josts Onkel. Familienoberhaupt Gustav aber, eher Feingeist denn Draufgänger, gelang es sogar, sich von der keineswegs immer nur ruhmreichen und insgeheim auch belastenden Familienvergangenheit materiell loszusagen: Er gab zur Bestürzung des jungen Josts und dessen Geschwister die geliebte, im Familienbesitz stehende Insel Schwanau im Lauerzersee zu einem symbolischen Preis dem Kanton Schwyz zurück. »Am 12. November 1966 sah sich unsere Familie endgültig angekommen in der bürgerlichen Normalität», wird Jost 45 Jahre später für sein Enthüllungsbuch in die Tasten klopfen. «An jenem Tag – ich war damals 13 Jahre alt – ist das letzte Kapitel in der Geschichte der alten Schwyzer Söldner-Dynastie Auf der Maur geschlossen worden. Die Offiziere unserer Familie, teuer bezahlte Berufsleute, hatten im Dienst gestanden für die Königreiche Sardinien-Piemont, Neapel, Sizilien, Spanien, Frankreich und Holland.»

Zwingender Gerechtigkeitssinn

Auch Jost auf der Maur sollte im Dienst stehen – nicht als Soldat, aber als Arbeitnehmer und Redaktor schweizerischer Tages- und Wochenzeitungen. Hier zeichnete er sich aus durch eine kunstfertig geführte Feder, durch Organisationstalent und durch Unerschrockenheit. Just sie verriet seine Herkunft, und sie drückte sich aus im Widerstand gegen die Versuche von Chefredaktoren und Verlegern, dem Journalismus Maulkörbe oder politisch und wirtschaftlich motivierte Direktiven zu verpassen. Wie seine Offiziersvorfahren die Interessen ihrer Auftraggeber verteidigten, so verteidigte er nun die gefährdete vierte Gewalt im Staat: Bei der damaligen «Basler Zeitung» ebenso wie bei der früheren «Weltwoche», die ihre journalistische Selbstverständlichkeit verlor und ihn mitsamt Gesinnungsgenossen schliesslich feuerte.

Vielleicht nickte Generalmajor Luigi in seinem Rahmen auch anerkennend, als sein schreibender Nachfahre gegenüber den Mächtigen nicht locker liess bei seinen Recherchen zu brisanten Themen wie etwa Umweltverbrechen (versteckte Seveso-Fässer), Staatskrise (Fichenskandal) und Import-Kartellen (mit nachfolgendem Inseratenboykott durch die Autoindustrie). Stets trieb den sich seiner Wirkung bewusster Söldner-Abkömmling ein zwingender Gerechtigkeitssinn. »Ich kann mich dafür nicht loben, das ist so angelegt in mir», erklärt sich der mehrfach ausgezeichnete Journalist gegenüber OnlineReports. «Und ich habe nicht sehr schnell Angst vor den Konsequenzen. Auch das ist nicht als erworbene Qualität meiner Persönlichkeit zu betrachten, es ist einfach da. Ich war darum in meinem Beruf oft sehr unbequem. Ich musste es sein, ob ich wollte oder nicht.»

»Mut, Dummheit, unendliche Treue?»

Et voilà! Und so führte der Rechtssinn des historisch interessierten und sich politisch weder links noch rechts einordnenden Journalisten mit poetischer Ausdruckskraft zur gnadenlosen Vertiefung in die eigene Familiengeschichte. Und je mehr er sich in das todbringende Handwerk seiner Vorfahren vertiefte, desto mehr entwickelte sich seine kritische Schwyzer Familiengeschichte zur kritischen Schweizer Landesgeschichte. So verschmelzen die beiden Geschichten in diesem explizit journalistisch und anekdotisch verfassten Buch zu einer einzigen, vielfach verzahnten Geschichte. Und so lesen wir jetzt auch das verstörende Porträt eines zunächst armen Alpenlandes, das zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert nur darum zu Reichtum kam, weil es seine Söhne alsbald über ein ausgefeiltes Geschäftsmodell und als die teuersten Kämpfer Europas an Kaiser und Könige verdingte. Wer über die Jahrhunderte hinweg helvetische Reisläufer anheuerte, durfte sich sicher sein, zähe, unerschrockene und vielfach auch siegreiche Krieger unter seiner Fahne stehen zu sehen. Ein «Export-Erfolg», der auf «Mut, Starrsinn, Dummheit, unendliche Treue oder einfach auf einer alpinen Form der Unbeirrbarkeit» fusste? Der schreibende Söldner-Nachfahre bleibt in seinem Buch die Antworten ebenso wenig schuldig wie die Beschreibung von Kriegsverbrechen durch die alten Eidgenossen.

Fledderer, Folterer und Mörder

Kriege mit ihren Toten und körperlich wie seelisch Versehrten sind in ihrer Tragweite grauenhaft, unfassbar und kaum zu beschreiben. Nur selten treiben sie wenige Menschen zu jenen herausragenden Leistungen und Muttaten, die in keiner Überlieferung fehlen, weit öfters entfesseln sie aber die schlimmsten, in der Erinnerung zumeist rasch wieder verdrängten Gewalttriebe im Menschen. Ihre Folgen zerrt Journalist Auf der Maur ebenfalls ans Tageslicht: Viele der verehrten und europaweit gefürchteten Söldner aus der Eidgenossenschaft waren nicht nur hervorragende Strategen und Elitekämpfer, sie wurden je nachdem auch zu Mördern, Folterern, Vergewaltigern, Fledderern und Räubern, manche tranken gar das Blut oder sie verspeisten das Herz ihrer Gegner. Was wohl Ahne und Haudegen «Luigi» als Generalmajor der eidgenössischen Truppen 1802 und militärischer Organisator des militärischen Widerstands der Zentralschweiz gegen Napoleons Truppen dazu gesagt hätte? Ur-Ur-Ur-Enkel Jost wird es nie erfahren, doch holte er, auch mit freundlicher Hilfe junger Geschichtsforschenden, noch weitere zentrale Zusammenhänge aus dem historischen Dunkel. Er zeigt, dass die fremden Dienste mit ihren insgesamt etwa 1,5 Millionen eidgenössischen Söldnern daheim zusehends die ganze Gesellschaft durchdrangen, Wirtschaft, Kultur und Politik enorm prägten und reiche Militärunternehmen in Familienbesitz entstehen liessen. Fazit: Das blutige Kriegshandwerk machte die einst mausarme Schweiz erstmals richtig wohlhabend.

Ohne Frauen kein Krieg

Die unentrinnbare Faszination des weiblichen Geschlechts wie auch der Zorn darüber, dass in der Schweiz Frauen bis heute in vielen Bereichen immer noch nicht gleichberechtigt sind, liessen den Schreiber auch ein Auge auf die bislang kaum beschriebene Frauenrolle der Söldner-Jahrhunderte werfen. Eine zweite wichtige Erkenntnis schälte sich heraus: Oft wurden die Familienfirmen als «Geschäft des Krieges» von den Gattinnen oder Schwestern jener Offiziere geführt, die meistens in Europa, aber auch unter fremder Fahne in Amerika oder Indien kämpften. «Ohne die Frauen, die lange genug alleine nicht nur Haushalt und Hausbau organisierten, sondern oft auch das sehr komplexe Management des Solddienstwesens und der Rekrutierung betrieben haben, wären die fremden Dienste in diesem Umfang gar nicht erst möglich gewesen», fasst Jost Auf der Maur zusammen.

Das würde selbst «der General» bestätigen, auch wenn ihm sonst die sezierende Darstellung der schillernden Familien- und Landesgeschichte durch seinen Nachkommen wahrscheinlich wenig Begeisterung entlockt hätte. Doch der Jost hat sich nun bravourös von ihm und seinesgleichen frei geschrieben, allein schon mit dieser donnernden Satzouvertüre in einem unseres Erachtens notwendigen Enthüllungs-Werk, das durchaus noch einiges umfangreicher hätte ausfallen dürfen: «Wenn die Zeit der Krieger vorbei ist, kommt die Zeit der Schreiber.» Sieger ist jetzt der Schreiber, und dieser gibt sich – offensichtlich versöhnt und befreit – seinem alten Blutverwandten gegenüber ritterlich: Jost Auf der Maur hat den Louis «Luigi» d’Auf der Maur wieder an die Wand gehängt, an seine eigene in einem Haus zu Chur. Denn «der General» ist ihm nicht mehr der unantastbare Geist aus der Jugendzeit, er ist wieder zum Menschen mit all seinen Begabungen und Makeln geworden. So hat «Luigi», 175 Jahre nach seinem Ableben, in seinem Ebenholzrahmen einen neuen Freund und Waffenbruder gefunden – Jost, den Wortfechter.

Jost Auf der Maur: «Söldner für Europa – Mehr als nur eine Schwyzer Familiengeschichte». Mit Bildern des Basler Kunstmalers Burkhard Mangold. Echtzeit Verlag, 106 Seiten, CHF 29.-/ € 26.-. ISBN 978-3-905800-52-4.

Erstveröffentlichung dieser Besprechung auf OnlineReports vom 7.12.2011


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.