Albert_Anker_18311910_Schreibunterricht_1865__Oil_on_canvas

Albert Anker: Schreibunterricht (1865) © CC Wikimedia

Schönschreiben hat an den Schulen keine Zukunft

Heinz Moser /  Die Bedeutung der Handschrift hat in der Schule im Zeitalter der Computer und Handys abgenommen.

Schreiben in der Schule hat seit dem Tastaturschreiben mit Computern viel von seiner Bedeutung verloren. Das hat kürzlich ein Entscheid des Bundesgerichts unterstrichen, wonach ein Schüler mit einer Schreibstörung an der Gymiprüfung den Computer benutzen darf.

Das Bundesgericht entscheidet gegen die Kantonsschule St. Gallen

Schon vor der Aufnahmeprüfung wollten die Lehrer eines schreibbehinderten Schülers, dass dieser wenigstens den Deutschaufsatz am Computer schreiben dürfe. Denn seine Schrift sei wegen seiner Schreibstörung in Stresssituationen total unleserlich. Der Computer erleichtere das Umsetzen schriftsprachlicher Aufgabenstellungen und entlaste ihn; er könne sich so besser auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren.

Dies wurde von der Kantonsschule St. Gallen abgelehnt und hatte zur Folge, dass der Schüler 2014 die Prüfung nicht bestand. Mit seinen Rekursen fiel der Vater erst auf allen Instanzen durch. Doch er blieb hartnäckig und gelangte ans Bundesgericht, das ihm letztinstanzlich Recht gab.

Die erhebliche Störung bei der motorischen Umsetzung der Ideen aufs Papier stelle eine Behinderung dar: Es gilt somit das Diskriminierungsverbots gegenüber behinderten Menschen, so dass kein Raum mehr für weitere Wahrscheinlichkeitsüberlegungen bestehe. Vielmehr müsse dafür gesorgt werden, dass der Schüler die Aufnahmeprüfung so rasch als möglich unter Bedingungen absolvieren kann, welche seine Behinderung berücksichtigen.

Drückt das Schönschreiben die Persönlichkeit aus?

Die Handschrift wird hier vom Bundesgericht nur noch als Mittel gesehen, um eigene Ideen auszudrücken. Bis weit ins 20. Jahrhundert hatte sie dagegen als Ausdruck der Persönlichkeit gegolten, der in der Schule umfassend zu entwickeln war. Eine schludrige Handschrift deutete auch auf einen fragwürdigen Charakter hin. Viele Kinder litten unter den Tatzen der Lehrpersonen, wenn sie dafür mit dem Lineal bestraft wurden, dass ihre Schrift unleserlich blieb, oder wenn Tintenkleckse ihr Übungsheft verunstalteten.

So wurden die Schülerinnen und Schüler in der Primarschule regelrecht darauf gedrillt, eine saubere und ästhetisch ansprechende Schrift zu erlernen. Es war dies eine verbundene und «fliessende» Schrift, die sog. «Schnürlischrift». In der NZZ singt noch heute Alain Claide Sulzer ihr Hohelied, wo «ein Fluss aus Wörtern auf möglichst geraden Wegen kanalisiert» werde. Auf die, die noch Blockschrift schrieben, habe man stolz heruntergeblickt. Das waren Häfelischüler.

Ganz anders argumentiert dagegen der neue Lehrplan 21. Schönschreiben ist hier nicht mehr Ausdruck der Persönlichkeit, sondern eine funktionale Fähigkeit, in einer persönlichen Handschrift leserlich und geläufig zu schreiben. Für das Schreiben gilt: Die Schülerinnen und Schüler «entwickeln eine ausreichende Schreibflüssigkeit, um genügend Kapazität für die höheren Schreibprozesse zu haben. Sie können ihren produktiven Wortschatz aktivieren und erweitern.»

Die Entwicklung der «Basisschrift»

Dazu braucht es nun aber nicht mehr den Drill im Schönschreiben. Für viele Aufgaben genügt es, Tastatur- und andere Eingabesysteme geläufig nutzen zu können. Wichtige Dokumente, wie Bewerbungen oder Briefe werden heute ohnehin am Computer getippt und der handschriftliche Eindruck spielt kaum mehr die entscheidende Rolle beim Bewerbungsgespräch. Viel wichtiger ist da ein überzeugendes Layout auf dem Computer.

Für das Schreiben von Hand reicht den auch der Umgang mit einer «gut lesbaren, geläufigen und persönlichen Handschrift» im Vordergrund. Das aufwändige Erlernen und Üben der Schnürlischrift wird nur noch als unnötiger Umweg bei der Entwicklung zu einer persönlichen Handschrift empfunden. Man hofft, mit einer neuen «Basisschrift» unnatürliche Bewegungsabläufe mit vielen Richtungsänderungen, die bei den Kindern zu Verkrampfungen führen können, zu vermeiden. Deshalb empfiehlt die Erziehungsdirektorenkonferenz empfiehlt die teilverbundene Basisschrift als neue Schulschrift: «Auch im Zeitalter von Computer, Tastatur und Maus bleibt es ein zentrales Lehrplanziel der Volksschule, dass die Schülerinnen und Schüler eine flüssige, gut lesbare Handschrift erwerben. Neuere Studien deuten darauf hin, dass dies mit der neuen Schriftform leichter erreicht werden kann.» Allerdings kann die neue Basisschrift nicht auf Befehl aus Bern eingeführt werden, sondern die Kantone müssen selbst entscheiden, welcher Schrift sie den Vorzug geben.

Schafft Finnland die Handschrift ganz ab?

Die Frage nach einer kindgemässen Schrift wird jedoch nicht allein in der Schweiz gestellt. Finnland, das in PISA-Studien immer wieder als führende Nation dargestellt wird, soll die Handschrift sogar ganz abschaffen.

Mindestens haben das die Medien so dargestellt. So titelte «20 Minuten» im Januar dieses Jahres: « Finnland schafft in Schulen die Handschrift ab». Und die Zeitung fuhr fort: «, so die finnische Bildungsministerin. Nun kippt das Land die Handschrift aus dem Lehrplan.» Das Entsetzen unter Pädagogen war auch in der Schweiz gross. Will man wirklich die Handschrift im Zeitalter der Computer aussterben lassen?

Doch die Aufregung ist umsonst. Die aufschreckende Meldung verdankt sich einem Übersetzungsfehler. Denn bis jetzt hatten die finnischen Schülerinnen und Schüler ähnlich wie bei uns zwei «Handschriften» gelernt, eine verbundene Schreibschrift und dann eine «alltäglichere» mit Druckbuchstaben. Der neue Lehrplan wird es nun den Schulen ermöglichen, die erstgenannte wegzulassen.

Klare Tendenz zu einer einfachen persönlichen Handschrift

Gefährdet ist also die Handschrift nicht. Mit dem Siegeszug der Handys und Computer hat sie aber an Bedeutung verloren. Auch in einer Aufnahmeprüfung an die Kantonsschule muss man nicht mehr durch eine Schönschrift beweisen, dass man einer kulturellen Elite angehört, die akademische Weihen verdient. Wichtiger als die visuelle Umsetzung sind die dahinterstehenden Ideen, die in einem Aufsatz ausgedrückt werden.

Man mag bedauern, dass das Schreiben von Hand zugunsten von WhatApp und Emails heute immer mehr in den Hintergrund gerät. Auf der anderen Seite muss man dem Drill und stundenlangen Üben nicht hinterher trauern, der vielen Kindern den Sprachunterricht versauert hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Schlerin_2

Bildungsreformen

Lebenslanges Lernen heisst die Devise. Aber wie gelingt Lernen? Von der Volksschule bis zur Weiterbildung?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 8.06.2015 um 18:07 Uhr
    Permalink

    Schade! Die Schnürlischrift ist ein fliessende organische Schrift, die ästhetisch ist, im Gegensatz zur pragmatischen Mischform «Basisschrift». Ich habe als Lehrer meist grosse Freude der Schüler/innen beim Lernen der verbundenen Schrift erlebt. Es ist keine Hexerei. Unsere Schrift ist einfach verglichen mit chinesisch z.B.. Was wollen diese «Reformer» denn sparen? Zeit? Mühe? sehr fragwürdig!

  • am 9.06.2015 um 00:30 Uhr
    Permalink

    Ob die geplanten Reformen gut sind weiss ich nicht, aber was ich bis heute nicht vergessen habe ist, dass ich während der ganzen Schule, 1950-59 wegen «unschöner Schrift» gehänselt und gequält wurde, obwohl ich im Deutsch immer unter den Klassenbesten war. Ich machte sehr wenige Fehler. Wegen der Schrift musste ich viele Strafaufgaben machen, was mir natürlich nicht schadete. Ich konnte die Blockschrift und die Schnürlischrift, also zusammenhängend Schreiben, bereits vor der ersten Klasse, was mir meine Gotte beigebracht hatte, ebenso beherrschte ich das Rechnen der ersten Schulstufe vor dem Schulbeginn. Man hatte keine Rezepte, wie man mit etwas fortgeschrittenen Schüler und Schülerinnen umgehen sollte. Sie störten halt den Betrieb, weil sie sich langweilten. Dafür wurden sie „bestraft“! Heute ist das, glaub’ ich, oder hoffe ich, besser.

  • am 9.06.2015 um 17:04 Uhr
    Permalink

    Die Schnürlischrift ist umständlich und schwer lesbar. Wenn jemand sie perfekt beherrscht, mag es schön aussehen. Sie ist jedoch eine schlechte Basis einer guten, praxistauglichen Handschrift. Für die kalligraphisch weniger begabten ist die Schnüerlischrift ein einziges Ärgernis, das sie in ihrer gesamten schulischen Tätigkeit behindert. Es ist überfällig, dass man sie abschafft.
    Das erlernen einer sinnvollen Handschrift halte ich aber nach wie vor für sinnvoll. Wer nichts mehr von Hand schreibt, ist nach einiger Zeit unfähig, auch nur seine eigene Adresse auf ein Stück Papier zu schreiben. Für einen erwachsenen, angeblich gebildeten Menschen wäre so etwas nur einfach peinlich!

  • am 9.06.2015 um 19:15 Uhr
    Permalink

    Man lernt doch die Blockbuchstaben und nachher die kleine Form der Buchstaben zur Vorbereitung auf die Schnürlischrift. Und dabei sollte man es bewenden lassen. Lesbar für Andere muss jede Schrift jedoch sein, damit sich jeder und jede mitteilen kann, damit es die Anderen lesen können, Formulare ausfüllen, Verträge ergänzen, Antworten verfassen und so weiter. Die Buchstaben muss ohnehin Jeder/Jede kennen, um mit irgend einer Tastatur schreiben zu können!

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...