Kommentar

Sprachlust: Kleider machen Menschen

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Von Leuten zu reden, ist heute beinahe verpönt: Menschen müssen es sein. Das «Wörterbuch des Unmenschen» sah das gerade umgekehrt.

«Kleider machen Leute» – so war es bei Gottfried Keller und dann noch eine Weile lang, aber jetzt scheinen die Leute auszusterben. Leute, die noch «Leute» sagen, machen sich der Menschenverachtung verdächtig. Das weiss auch Martin Schulz, der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der kürzlich abgehaltenen EU-Parlamentswahl: «Schulz sagt nicht ‹Leute›, sondern ‹Menschen›, weil das gefühlig humanistisch tönt.» So war es im «Bund» zu lesen, wobei offen blieb, ob die Begründung wirklich von Schulz stammt oder aber vom Journalisten. Vielleicht sagt Schulz ja auch einfach deshalb «Menschen», weil fast alle Leute das tun.
Jedenfalls liest man auch etwa: «Gesundheitskosten: Jeden vierten Franken zahlen die Menschen selber», oder über Peter Spuhler, «dass ihn selbst im Thurgau die Menschen manchmal als ‹Herr Stadler› ansprechen», nach dem Namen seiner Firma. In diesen Fällen dürfte humanistische Gefühligkeit bei der Wortwahl keine Rolle gespielt haben, und auch der Bedarf nach einem geschlechtsneutralen Wort wäre mit «Leute» besser gedeckt als mit «Mensch», in dem letztlich «Mann» steckt.
«Abhängige und Unfreie»
«Leute sind doch bessre Menschen», schrieb der Politikwissenschafter Dolf Sternberger schon 1967 – ausgerechnet im «Wörterbuch des Unmenschen», in das für ihn auch die «Menschen» gehören. Dieses Wörterbuch ist ein umstrittenes Stück deutsche Vergangenheitsbewältigung und richtet sich vornehmlich gegen den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten, aber nicht in den offensichtlich unmenschlichen Formen wie «Endlösung» für Massenmord oder «Rassenschande» für unter den Nazis verpönte Liebschaften.
Vielmehr behandelt das «Wörterbuch des Unmenschen» unauffällige Wörter wie «betreuen» oder «Anliegen», in denen Sternberger (wie seine Mitautoren) ein Menschenbild der Unselbständigkeit verkörpert sah. Und eben auch im Wort «Mensch» selber: «‹Menschen› sind auch gefühlvoll aufgewertete ‹kleine Leute›, zugleich Produkte und Objekte organisierter Menschlichkeit. Diese öffentliche Innigkeit ist gerade das Gegenteil von Achtung vor der Menschenwürde (…). Dahin ist es gekommen, dass gerade das Wort ‹Menschen› Abhängige und Unfreie bezeichnet.» Dagegen: «Leute sind unseresgleichen. Sie lassen sich nicht so gern betreuen und verwalten.»
Leute, die sind frei
Sternberger hätte noch ein weiteres Argument anführen können: «Leute» ist von einer Bezeichnung für «freie Menschen» abgeleitet. Nur denkt heute kaum jemand daran, wenn er das Wort benutzt, und bei «Menschen» ebenso wenig daran, dass er damit laut dem «Wörterbuch des Unmenschen» sogar «Abhängigkeit und Unfreiheit fördert». Es ist ja auch fraglich, ob das zutrifft. Allerdings könnte man schon sagen, Menschen, die nur einen Viertel der Gesundheitskosten selber bezahlten, seien unfrei, und manche Thurgauer seien von «Herrn Stadler» abhängig.
Bei einer gediegenen Schweizer Zeitung soll es einmal die Hausregel gegeben haben, nur dann von «Menschen» zu schreiben, wenn es um die Unterscheidung von den Tieren gehe, und sonst «Leute». Heute ist aber auch dort bei der Lektüre nichts davon zu merken. Wahrscheinlich schrieb man schon in der guten alten Zeit, wenn doch es einmal einen Unfall gab, es seien drei Menschen verletzt worden, statt mitleidlos «Leute». Nicht umsonst hat das Sammelwort keine Einzahl: Es eignet sich nicht für Individuen, sondern eben für eine Mehrzahl, in der die individuellen Unterschiede im Moment keine Rolle spielen. Also zum Beispiel Patienten, wenn die Verteilung der Durchschnittskosten berechnet wird, oder Thurgauer, wenn ihnen «Herr Stadler» entschlüpft. Das sind dann alles, um Gottfried Keller zu modernisieren, «Menschen von Seldwyla».
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • am 21.06.2014 um 12:41 Uhr
    Permalink

    Besonders auf dem politischen Parkett war der Siegeszug des Wortes «Mensch» in den letzten Jahren fast schon rührend mitanzuhören: von Menschen auf der Seite, welche von der anderen Seite später als «Gutmenschen» tituliert wurde initiiert, breitete sich das Wort schnell aus, sozusagen von links nach rechts. Unterdessen ist «Leute» tatsächlich politisch fast schon inkorrekt und wird beinahe schon mit «Pöbel» gleichgesetzt. Schade – «Leute» ist ein ausdrucksstarkes und typisches Wort der deutschen Sprache und fehlt in vielen anderen, wir sollten es pflegen, liebe Leute!

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 23.06.2014 um 10:02 Uhr
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    "Menschen von Seldwyla", nein, das wäre Schändung von Gottfried Keller. Dass «Leute» demokratischer klingt als Menschen, merke ich erst jetzt, da ich Goldstein lese, den Gelehrten, der jeden Tag für eine Überraschung gut ist und auf diese Weise jung bleibt. Vor Jahrzehnten las ich den eher kitschigen Roman «Menschen im Hotel", ich glaube von Vicky Baum. An der Obwaldner Landsgemeinde sagte man: «Liääbi gitrüüwi Mitlandlüüt!"

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 23.06.2014 um 10:10 Uhr
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    PS. Daniel Goldstein: Paracelsus sagte, als Medizin- und Sozialethiker: «Der Mensch ist bei den Leuten.» D. h. durch seine Sozialisation wie auch die eigentlich selbstverständlichen Verpflichtungen zu den anderen kommt der Mensch «unter die Leute". Nur unter den Leuten, in der Polis, ist er als «zoon politikon» nach Aristoteles ganz Mensch.

    Sogar der Einsiedler Bruder Klaus, eine radikale Existenz im Sinne der Mystik, war nur für sich selber für Gott da, im ethischen Sinn aber «für die Leute", dies jeden Tag, besonders aber dann, wenn es den Frieden zu gebieten galt, eine Hauptaufgabe eines spätmittelalterlichen Landammanns.

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