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Stress und Leistungsdruck an den Hochschulen

Heinz Moser /  Jugendliche stehen heute unter Stress, stellt die Zürcher Jacobs Foundation fest. Besonders stark trifft dies auf Studierende zu.

Stress, Leistungsdruck und Überforderung prägen den Alltag von rund der Hälfte der schweizerischen Jugendlichen. Dies belegt die «Juvenir-Studie» der Jacobs Foundation. Besonders heftig setzt die Uni den Jugendlichen zu: 75 Prozent der Studentinnen und 57 Prozent der männlichen Studenten sind häufig bis sehr häufig gestresst. Nach der Juvenir-Studie berichten sowohl die männlichen wie die weiblichen Studierenden erheblich häufiger als Auszubildende und Berufstätige von intensiven Stressphasen (S. 14):


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Die Bolognareform

Das fröhliche Studentenleben und die Bummelstudenten früherer Zeiten gehören längst einer vergangenen Zeit an. Der heutige permanente Leistungsdruck ist vor allem mit einem Begriff verbunden: «Bologna». In dieser italienischen Stadt wurde 1999 eine tiefgreifende Reform der europäischen Hochschulen eingeleitet. So erwerben Studierende heute nicht mehr das «Lizentiat», sondern den «Bachelor» und anschliessend den «Master». Mit diesem neuen System sollte nach dem Vorbild der angelsächsischen Studienabschlüsse ein einheitlicher Hochschulraum geschaffen werden, welcher den Austausch der Studierenden zu erleichtern versprach.

Lehrveranstaltungen werden seither mit Leistungspunkten nach dem «European Credit Transfer System» (ECTS) ausgestattet. Mit diesen überall anrechenbaren Credits, soll der sogenannte «Workload» vereinheitlicht und damit der Wechsel zwischen Hochschulen im Studium erleichtert werden. An der ETH entspricht zum Beispiel ein Workload von 30 Stunden einem Kreditpunkt – für 30 Arbeitsstunden erhält man also einen Leistungspunkt.

Die Kritik an Bologna

In letzter Zeit hat die Kritik an der Bologna-Reform zugenommen. Dabei sind es nicht allein Studierende, die damit nicht zufrieden sind. Auch prominente Hochschulvertreter wie Dieter Lenzen, streitbarer Präsident der Freien Universität Berlin und anschliessend der Universität Hamburg, findet nach seinen jahrelangen Erfahrungen heute keinen guten Faden an der Hochschulreform mehr. In seiner Streitschrift «Bildung statt Bologna!» kritisiert er, dass man das alte System zu schnell abgeschrieben habe. Man habe es zuerst schlecht geredet und die angebliche Faulheit von Professoren oder die ungenügende Lehre bemängelt, um dann daraus zu folgern, es müsse dringend «verbessert» werden.

Zwar erscheint ein solches Credit-System auf den ersten Blick eine gerechte und angemessene Form der Beurteilung. Doch die Erfahrungen Lenzens sagen, dass damit nur alles noch schlechter geworden sei: «Schaut man sich indessen die Leistungserwartungen für ein paar lächerliche Credit Points an und registriert man, dass in vielen Betriebswirtschafts-Studiengängen insgesamt zwischen 50 und 60 Einzelprüfungen anfallen, dann handelt es sich nicht um eine Erleichterung, sondern um eine Vervielfältigung von Prüfungsangst und bewusstlosem Auswendiglernen für Klausuren, die nicht selten unter Einnahme von Ritalin und verwandten Psychopharmaka geschrieben werden.» Unter dem Vorwand einer angeblich notwendigen Vereinheitlichung habe durch die Übernahme der angelsächsischen Hochschulstrukturen ein «einzigartiger Verschulungsprozess» stattgefunden.

Das Fazit der Juvenir Studie

Wenn also der Leistungsdruck nach der Juvenir-Studie gerade an den Hochschulen so gravierend ist, so hängt dies nicht zuletzt mit dem Bologna-Prozess und der Tendenz zusammen, jede Studienleistung mit einer Credit-Vergabe abzutesten. Und so kommt es zu dem, was der Bericht in seinem Fazit hervorhebt: «So wird Leistungsdruck von den Jugendlichen auch überwiegend negativ und als belastend wahrgenommen. Jugendliche mit häufigen Stresserfahrungen sind nicht nur unzufriedener mit ihrem Leben, sondern berichten oft auch von psychischen Symptomen. Positive Aspekte von Leistungsdruck, z.B. dass die Arbeit unter Druck leichter von der Hand geht oder die Konzentrationsfähigkeit unterstützt, sind für Jugendliche dagegen zweitrangig.»

Die Schweiz übernahm die Bologna-Reform unvorbereitet

(cm) Die Schweiz beziehungsweise deren Vertreter haben die europäische Hochschulreform damals 1999 in Bologna ohne ausreichende vorherige Diskussion auf Universitätsebene unterzeichnet. Die Eigendynamik der Veranstaltung erlaubte kein Abseitsstehen, sagen die damals dort anwesenden Delegierten aus der Schweiz. Nachzulesen ist die Geschichte der Schweizer Unterschrift auf den Schweizer Seiten der Wochenzeitung Die Zeit.

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2 Meinungen

  • am 14.09.2015 um 12:10 Uhr
    Permalink

    Leute, da habt ihr offenbar zwei völlig verschiedene Artikel ineinander verwurstet. Stand da wohl der Redaktor unter (Bologna)-Stress?

  • am 14.01.2016 um 13:47 Uhr
    Permalink

    Dieser «Stress», der durch Bologna verursacht wird, stellt nicht für alle Studenten ein Problem dar. Ich habe einen Semester an einer privaten Wirtschafts-Hochschule verbracht. Dort hat man sogar für einen Yoga-Kurs ECTS-Punkte angerechnet bekommen.

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