Kommentar

Sprachlust: Soll man Wörter beim Wort nehmen?

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Ist «unfreiwilliger Humor» nicht das, sondern nur unbeabsichtigt? Ja, aber er heisst halt so. Dennoch: Obacht bei «unfreiwillig»!

Haben Sie sich diese Woche schon für etwas entschuldigt? Wenn nein, sind Sie denn so unschuldig oder so arrogant? Wenn ja, wäre auch das anmassend, denn «sich entschuldigen» bedeutet ja wörtlich, sich selber von Schuld freizusprechen. Aber wahrscheinlich haben Sie die Person, der Sie unfreiwillig etwas zuleide getan haben, um Entschuldigung gebeten. Und die hat hoffentlich Sie bzw. Ihr Verhalten entschuldigt, denn sie allein ist dafür zuständig.
Eben habe ich Ihr Fehlverhalten als «unfreiwillig» beschrieben, und vielleicht hat das Ihr Sprachgefühl gestört. Gut so, denn vermutlich hatten Sie nicht unter Zwang gehandelt, sondern durchaus aus freiem Willen, jedoch ohne jede Absicht, jemanden zu schädigen oder zu kränken. Auch der «unfreiwillige» Humor kommt meistens ohne jeden Zwang zustande, aber eben auch ohne jede Absicht, lustig zu sein. Es handelt sich also um unbeabsichtigten Humor, streng genommen nicht um unfreiwilligen.
Wer nun einwendet, das seien Spitzfindigkeiten, der «unfreiwillige Humor» heisse nun einmal so, und wenn er jemanden verletze, könne man «sich entschuldigen», ohne einen Sprachfehler zu begehen – wer das einwendet, hat auch wieder recht. Der Online-Duden nennt für «sich entschuldigen» an erster Stelle die Bedeutung «um Verständnis, Nachsicht, Verzeihung bitten», und für «unfreiwillig» an zweiter Stelle «nicht beabsichtigt».
Last der Verantwortung
Dass sich ein Wort von seiner ursprünglichen Bedeutung wegentwickelt, ist weit eher die Regel als die Ausnahme. Meist bleiben verschiedene Bedeutungen erhalten, und welche jeweils zutrifft, ergibt sich aus dem Zusammenhang. Entsteht indessen zwischen dem ursprünglichen und einem neuen Sinn ein Widerspruch, dann ist Vorsicht am Platz, vor allem dann, wenn der angestammte Wortsinn noch klar zutage liegt. Bei «sich entschuldigen» denkt zwar kaum jemand an Selbstabsolution – aber «um Verzeihung bitten» trifft den Vorgang trotzdem genauer. Der «unfreiwillige Humor» ist als stehende Wendung etabliert, doch niemand ist gezwungen, auch sonst «unfreiwillig» zu sagen, wenn «unbeabsichtigt» gemeint ist.
Häufig wird das Wort «verantwortlich» für Ursachen gebraucht, die man nicht zur Verantwortung ziehen kann: «Das Wetter war für die Verschiebung des Anlasses verantwortlich.» Dafür gibts nun im Duden keine Rechtfertigung, ausser man halte das Synonym «schuld an etwas» für eine. Aber das Wetter ist auch nicht schuldfähig. Kann es, falls es sich bessert, «für einen Grossaufmarsch sorgen»? Eigentlich nicht, denn bei «für etwas sorgen» schwingt eine Absicht mit – nur hat das Verb, wieder laut Duden, auch die verblasste Bedeutung «bewirken». Wer sich also verblasst ausdrücken will, darf das.
Lust des Besitztums
«Die Kuh besitzt einen Schwanz» sei ein schlechter Satz, habe ich in der Schule gelernt, denn nur Menschen (oder ihre Organisationen) hätten Besitztümer. Im Zeitalter der Tierrechte mag man das anders sehen, aber kann ein Kino Charme besitzen, ein Naturlehrgebiet Ausstrahlung oder gar ein Feuerwehrauto 2000 Liter Wasser? Das alles sind echte Beispiele aus Zeitungen von vergangenem Monat, und zumindest das letzte grenzt an unfreiwilligen Humor.
Hätte ich «von letztem Monat» geschrieben, so könnten mir Puristen vorhalten, das sei falsch, denn es sei uns ja nachweislich mindestens noch ein weiterer Monat vergönnt gewesen. Ich habe aber nicht deswegen vom «vergangenen Monat» geschrieben, sondern weil sonst in jenem Satz zweimal «letzte» stünde. Auch «vergangen» könnte als ungenau angeprangert werden: Es sind ja schon ganz viele Monate vergangen. Zum Glück führt jedoch der Duden für «letzte» auch die Bedeutung «gerade erst vergangen» an, und für «vergangen» sinngemäss ebenfalls «gerade erst». Für «besitzen» wiederum gibt das Handbuch auch das Synonym «aufweisen» an – und so lässt es uns mit der Stilfrage allein, wann es um Besitz geht und wann nicht.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 2.06.2013 um 03:10 Uhr
    Permalink

    "Unfreiwilliger Humor» ist eigentlich gar kein Humor. Der kann doch höhstens unbeabsichtigt sein.
    Auch ein Fehlverhalten kann nicht unfreiwillig sein. Entweder ist man seines Fehlverhaltens bewusst oder eben nicht. Wenn man sich seines Fehlerverhaltens nicht bewusst ist, ist man nicht schuldfähig. So heisst es im Juristenjargon. Jemanddem der einen Fehler unbewusst macht, kann man nicht verzeihen.
    Statt Entschuldigung kann man sehr gut brauchen: «Es tut mir leid."
    Irgendwo im Johannesevangelium, ich mag jetzt nicht nachschauen, wo es steht, sagt Jesus: «Gehe hin und tu es nicht wieder."

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